Donnerstag, 12. April 2012

Und bis zur nächsten Berlinale immer weiter Filme schauen

Image by Betty Schnee
Aus und immer weiter, so ist das mit den Filmfestivals in Berlin, den schnuckeligen kleinen Kinos und den engagierten Kartenkäufern. Deshalb freuen wir uns auf die Zwischenfilme, die wir bis zur Berlinale 2013 besuchen. Und wer neugierig auf alle möglichen Filmfestivals in Berlin ist, kann diese zusammengesammelt hier finden.
Letzte Woche waren wir mit ein paar Geldgebern aus dem Crowdfunding im International, Iron Sky anschauen, zu dem wir bei der Berlinale keine Karten mehr bekommen hatten. Für den metallenen Krach der motorgetriebenen Eisenmaschinen brauchte das Ohr das unterstützende Auge mit weitem Blick auf die große Leinwand. Unser Beileid an alle, die versuchen diesen Film auf dem Laptop zu genießen und dabei nur ein Spielzeugimperium brummen hören: leiht euch lieber einen Beamer und bleibt bei Raumschiff Orion für den kleinen Bildschirm.
Nächste Woche gehen wir in einen Film, den wir glücklicherweise schon einmal beim African Screens Filmfestival 2008 im Haus der Kulturen der Welt sehen durften. Der angolanisch-portugiesische Spielfilm O Hero/The Hero von 2004 zeigt einen kleinen, sehr feinfühlig-eindrucksvollen Blick auf das Ende des Bürgerkriegs in Angola, der zurecht mit einem großen Preis vom Sundance Filmfestival belohnt wurde, er läuft nur einmalig in der Werkstatt der Kulturen. Mehr davon danach.

Sonntag, 11. März 2012

Ach ja, seufz, nächstes Jahr dann wieder ... ein paar abschließende Gedanken zur Berlinale 2012

Image by Betty Schnee
Ein paar Tage sind bereits vergangen und wir haben uns schon wieder an die Helligkeit und einen regelmäßigen Tagesablauf gewöhnt. Doch schon vermissen wir die Vielsprachigkeit der Berlinale und die Begeisterung derjenigen, die mit uns in den Kinosälen saßen. Jetzt müssen wir wieder genau überlegen, wie wir die Ignoranten vermeiden, die nur zum Popcornknacken und Fummeln die flimmernde Dunkelheit aufsuchen.

Ja, und dann gab es wieder dieses Déjà-vu gegen Ende der Berlinale: Ein paar Sitzplätze weiter unterhalten sich zwei cineastisch geformte und hippe späte Jungs über das Ranking der Berlinale als internationales Festival und fragen sich kritisch, ob es immer noch als A durchgehen kann. Dann kommt von der Reihe vorher die Antwort eines älteren Herrn, oder einer älteren Frau, die sich als langjährige Kenner der Berlinale-Geschichte entpuppen: Er, oder sie, argumentiert begeistert gegen die Jungs und deren Ellbogenüberlegungen und für die Berlinale als Festival von Menschen für Menschen, was interessiere denn den Kinofreund ein exklusives Festival der Garderoben und Eitelkeiten. Wunderbar! - Wir wissen dann immer wieder aufs Neue, dass wir hier richtig sitzen.

Déjà-vu II: Wahrscheinlich seid Ihr ihr auch schon begegnet, der Frau auf dem speziellen Sitz. Dieses Jahr hatten wir sie nicht persönlich neben uns, sondern erkannten sie nur durch ihre Argumentation zwei Reihen vor uns. Sie konnte nicht weiterrücken um dem fragenden Paar zwei zusammenhängende Sitze zu spendieren. Denn ihr Platz war gut für sie, hatte die richtigen Vibrations und den passenden Geruch. Das hatte sie uns letztes Jahr bereits wiederholt erklärt, als wir zufällig neben ihr saßen. Sie kann nur auf bestimmten Plätzen sitzen, da andere zu stark nach dem Parfüm ihrer Vorsitzer riechen und irgendwie muss auch noch sowas wie der Hauch von Feng Shui für sie passen. Sie ist immer sofort still, wenn der Saal sich verdunkelt.

Und dann war da noch eine Peinlichkeit, die wir hier nur erzählen, weil sie uns nicht direkt betrifft und wir eigentlich mit dem Begriff "Peinlichkeit" nicht wirklich was anfangen können. "Oh, wie peinlich" flüsterte die Frau, als sie ihr Missgeschick verstand und sofort den Rückzug antrat. Die Beiden neben uns lachten. Vorher hatte die Frau vom Gang aus zu uns rübergerufen: "Ist neben Ihnen noch frei?" Wir haben sie angestarrt, die meinte nicht uns. Sie hat ihre Frage wiederholt. Wir haben irritiert unseren afrodeutschen Nachbarn angeschaut, doch der hat sich weiter mit seiner Begleitung unterhalten. Die Fragende wiederholte ihre Worte an uns, nun etwas lauter: "Ist neben Ihnen noch frei!?" Fragte sie tatsächlich uns? Wir hatten schon Erfahrungen mit Menschen, die schielen und deshalb waren wir weiter unsicher, ob wir überhaupt gemeint waren. Wir blickten uns um. Doch jetzt zeigte sie mit dem Finger auf uns und unseren Sitznachbarn. Fassungslos schauten wir sie an und begriffen langsam, was los war. Unser Sitznachbar hatte eine dunkle Jacke und Hose an und eine schwarze Mütze auf. Auch er bekam nun die Situation mit, die Frau kapierte und schlich sich von dannen. Unser Sitznachbar erzählte nun diese kleine Begebenheit seiner Begleitung und beide amüsierten sich darüber. Wir saßen in "Call Me Kuchu". Wir wollen mehr Filme aus Afrika auf der Berlinale 2013 sehen!

Montag, 27. Februar 2012

Unser Tag "Zehn", unser Letzter: von Portugal und Mosambik in den Tschad und nach Südafrika

Image by Lilly Blume
Für unseren letzten Tag, den Publikumstag, hatten wir sogar schon seit unserem ersten Tag Karten für einen Wettbewerbsfilm: Tabu von Miguel Gomes. Dieser Film hat dann den nach dem erster Leiter des Festivals benannten Alfred-Bauer-Preis erhalten, eine Auszeichnung für Filme, die neue Perspektiven der Filmkunst eröffnen. Wir mussten dafür in den Berlinale-Palast. Der Palast der Republik, ach, er ist von uns gegangen, wäre da schon tausend Mal mehr Palast als dieses mickrige Glasding mit den unbequemen Sitzen, der kleinen Leinwand und der Tatsache, nur einen Sitzzwerg mit Flachfrisur vor sich ertragen zu können. Aber wir wollten den Film unbedingt auf der Berlinale sehen, aus Furcht, dass es eine portugiesisch-brasilianisch-französisch-deutsche Produktion mit der weiten Bearbeitung des Themas der portugiesischen Kolonialherrschaft bestimmt nicht in die Berliner Kinos schafft. Und wenn Tabu es doch einmal ins International - auch eher ein Palast - schaffen würde, denn auf solch eine Leinwand gehört dieser Film, würden wir uns noch einmal in dieses Vergnügen stürzen. Wie soll man Tabu erklären? Schwarzweiß, Bilder von heute, Bilder aus der Kolonialgeschichte Mosambiks, die so unscheinbar die Qualen der Kolonisierten erzählen, wie es wahrscheinlich der Ignoranz der Weißen entsprach. Der weiße Kolonialherr und seine weiße Frau sind wichtig, ihre Liebesbandeleien sind wichtig, ihre öden Parties sind wichtig. Und was mit den Bewohnern des Landes passiert, ist sowas von egal für diese andere Gesellschaft. Diese Leerstelle zeigt der Film als nebenbei mitlaufend bei der Legende vom Krokodil, als Mord, der der Befreiungsbewegung zugeschrieben wird und im heutigen Lissabon, wo eine kapverdianische Hausangestellte sich um die frühere Madame kümmert und von deren abwesendener Tochter dafür bezahlt wird. Dieses letzte Beispiel aus dem Heute zeigt eine kleine Verschiebung der Machverhältnisse. Die senile alte Frau war früher eine begehrte Schönheit und ist an ihrer großen Liebe, einem Liebhaber der Frauen, zerbrochen. Auch dieser ist durch die Idee der romantischen Liebe an ihr zerbrochen und lebt nun in einem Pflegeheim in der Nähe seiner ehemaligen Geliebten. Die kapverdianische Hausangestellte hat mit romantischer Liebe nichts am Hut zu haben, auch die Befreiungsbewegungen aus Mosambik oder Angola können sich der Hingabe in diese Gefühle so nicht leisten, vielleicht sind sie aber auch nur temporärer Ausdruck einer bestimmten kulturellen Ideologie - wer weiß das schon.

Unser nächster Film hat auch was mit vergangener Kolonialzeit zu tun. In Habiter/Construire zeigt die französische Doku-Regisseurin Clémence Ancelin, wie eine französische Firma eine Straße durch den Tschad baut. Dabei berühren die Arbeiten zur ihrer Entstehung das Leben der Menschen, die zukünftig am Rande der Straße wohnen werden. Die Frau, die ihr Korn für ihre Familie immer auf einem Stein per Hand reibt, erhofft sich davon eine elektrische Mühle, wie es sie im Nachbardorf gibt. Der Mann, der nun ein kleines Café für die Bauarbeiter betreibt, wollte eigentlich als Hilfsarbeiter angeheuern, doch es gab keinen Platz mehr für ihn bei diesen verhältnismäßig gut bezahlten Jobs. Ein besser gestellter Bauarbeiter beschreibt seinen luxuriösen Wohncontainer mit fließendem Wasser und Klimaanlage. Eine Zeitaufnahme des Tschad, die eine Veränderung dokumentiert.

Und dann ging es abends zum Cubix, zu unserem letzten Film diesen Jahres: Man On Ground. Und wir hatten sogar noch das Glück, dass uns nach dem Film der engagierte Regisseur Akin Omotoso ein paar Auskünfte gab. Anlass für die Entstehung des Films, für die sich auch die Schauspieler engagierten, waren die rassistischen Morde in Südafrika im Jahr 2008. Als besonders aufwühlend beschrieb Omotoso ein Bild von einem brennenden Menschen aus Mosambik, im Hintergrund sieht man vier Polizisten diese Ermordung ruhig beobachten. Zur Verdeutlichung seiner Kritik am Rassismus, nicht nur in Südafrika, hat er zwei Originalreden an den Anfang und den Schluss seines Films gesetzt, die vorführen, wie Sündenböcke produziert werden. Rassismus als ein Ausdruck von Machtungleichgewicht und Armut: Menschen, die nicht viel haben, bringen Menschen um, die noch weniger haben, aus Angst, irgendwann nichts mehr zu haben. Seine Botschaft: Rassismus kann überall stattfinden, die Begründungen dafür werden sich finden. Ein ambitionierter Film, der in seiner künstlerischen Umsetzung nicht durchgehend überzeugen konnte.

Freitag, 24. Februar 2012

Unser Tag "Neun": Südkorea und Westsahara

Image by Betty Schnee
Ach ja, Wandeukyi (englischer Titel: Punch, und damit nicht wirklich ins Deutsche übersetzbar). Als wir aus dem Kino kamen, dachten wir mal wieder: so ein toller Film! Ein Generationenfilm über einen Jungen mit einem Vater, der nicht dem gängigen Männlichkeitsideal entspricht. Mit einer Mutter, die der Vater verheimlicht, da sie eine in Südkorea rassistisch ausgegrenzte Arbeitsmigrantin aus den Philippinen ist. Sie verschwindet kurz nach der Geburt des Sohnes, damit dieser nicht als Halb-Philippino stigmatisiert wird. Was den Jungen Wan-deuk emotional am meisten beschäftigt, ist die schlechte Behandlung durch seinen Klassenlehrer. Ein Typ, der auf cool und kumpelhaft macht und bissige Sprüche drauf hat. Irgendwie scheint er seine Klasse samt Wan-deuk dennoch zu mögen, hat aber als intellektueller Soziologielehrer kein positives Bild der südkoreanischen Gesellschaft. Der Regisseur Han Lee schafft es wunderbar, aus diesen durch den gewöhnlichen Alltag zusammenwirkenden Personen eine witzig-ironische und bunte Mischung zu machen, die frisch wie ein Sommerstrauß wirkt. Die Szenen zwischen den Dachwohnungen im Sonnenuntergang, mit bösem Nachbarsgeschrei, attraktiver und biertrinkender junger Frau, die den schnoderigen Lehrer anbaggert und dazwischen der wortkarge Junge und sein Künstlervater, ein Film, wolkig leicht, mit gesellschaftspolitischem Tiefgang, und auch deshalb was fürs Herz.

Wilaya bedeutet "Region", erklärte uns ein auch im Kino sitzender Bekannter, der schon ein paar Mal an den Orten war, die wir in dem so benannten Film nun sehen durften. Gemeint ist damit die Region Westsahara, ein ehemals von der spanischen Kolonialmacht besetztes Land, das nach deren Abzug größtenteils von Marokko annektiert wurde. Zurück blieb ein schmales Stück karger Steinwüste, dass heute von der Befreiungsbewegung Polisario kontrolliert wird. Die dort lebenden Sauhris verteilen sich auf vier große Flüchtlingslager, ein fünftes wird gerade gebaut, sie warten immer noch auf ihre völkerrechtliche Anerkennung. Aus dieser politischen Geschichte schält Regisseur Pedro Pérez Rosado das Leben einer jungen Frau heraus, deren Eltern sie aus dieser Zukunftslosigkeit heraus zu Pflegeeltern nach Spanien gegeben hatten. Als ihre leibliche Mutter stirbt, besucht sie pflichtbewußt ihren Bruder und ihre gehbehinderte Schwester. Diese wohnen, wie die meisten anderen Sauhris auch, in Zelten und ihr größter Wunsch ist ein gasbetriebener Kühlschrank, denn Strom gibt es dort nicht. Die Nahrungsmitteln kommen von internationalen Hilfsorganisationen. Als unverschleierte und europäisch gekleidete Frau fällt sie auf, doch die LagerbewohnerInnen können das zuordnen. Sie möchte schnell wieder zurück in ihr Leben in Spanien, doch ihr Bruder will, dass sie bleibt und sich um die Schwester kümmert. Die im Film gezeigten Menschen schaffen es, sich in diesem Nichts mit Aussicht auf ein Leben im Wartestatus, eine Struktur zu geben. Diese schwere Lebensgeschichte, erzählt ohne falsche Dramatik, zeigt Menschen, die wegen staatlichem Nationalgebaren zu Hundertausenden ihr Leben in einer öden Wüste verbringen müssen. Die symphatischen Darsteller sind von diesem Ort in der Sahara und spielen uns ihre, eigentlich unglaubliche, Situation vor.

Donnerstag, 23. Februar 2012

Unser Tag "Acht": UdSSR, Baku und die Russische Förderation

Image by Betty Schnee
Unter Documentaries laufen in der Retrospektive Dokumentarfilme aus der UdSSR. Teil 4 brachte uns heute zuerst Pjatiletije sowjetskoi Rossii (Fünf Jahre Sowjetrussland) von 1922 vors Auge. Wir waren noch nie in Russland, noch nie in Moskau, vielleicht sind uns deshalb die Dimensionen, die diese Militärparaden annehmen konnten, unvorstellbar. Viele Menschen, in Reihen oder unsortiert, stehen auf dem Roten Platz, darunter ein paar mit uns heute noch bekannten Namen, wie Clara Zetkin und Leo Trotzki - der mit dem Eispickelende. Bilder vom Komintern-Kongress 1922 sind auch dabei. Insgesamt ein beeindruckendes und seltenes Dokument der Zeitgeschichte.
Danach kam eine Dokumentation über Baku, Drugaja schisn (Das andere Leben), und zeigte uns in zweiundsiebzig Minuten den Einzug der Moderne in die Steppe dieser ölreichen Gegend. Zuerst werden uns eine Unmenge von verschmierten Öltürmen und Menschen, die sich ganz verhüllen, um sich vor dem ewigen Staubwind zu schützen, gezeigt. Doch dann verändert sich das Bild, wird freundlicher: Häuser werden gebaut, Gärten werden angelegt, Fabriken mit Kantinen und Kindergärten entstehen, Straßenbahnen fahren - darunter die erste elektrische Tram des Sowjetreichs. Die Hochhäuser sehen freundlicher aus als diejenigen, die wir aus den siebziger Jahren aus West- und Ostberlin kennen. Eine erstaunliche Modernität entsteht in dieser aserbaidschanischen Stadt der dreißiger Jahre, in der zehn Jahre nach dem Rauswurf der ausländischen Ölkönige nun der ökonomische Reichtum der Bevölkerung vor Ort zugute kommt.

Unser zweiter Film geht ins heutige Russland, die russische Förderation. Für diese Dokumentation begleitete Regisseur Andrey Gryazev die Künstlergruppe "Voina" (Krieg) über eine längere Zeit bei ihrer Arbeit. Den Titel des Films, Zavtra (Morgen), hat er mit bedacht gewählt, erzählt uns der Regisseur während des Q+A. Er will damit auf die schwierige Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der russischen Gesellschaft verweisen. Gleich am Anfang des Films sehen wir Menschen auf Klautour in einem Drogeriemarkt. Dabei ist für uns erst mal schwer zu verstehen, dass einer der Männer ein Kleinkind im Tragerucksack auf dem Rücken trägt. Draußen läßt die Gruppe den nachgerannten Wachmann alt aussehen, er hat argumentativ und körperlich keine Chance gegen die vier Leute. Wir sehen die KünstlerInnen bei der Planung von Aktionen, bei den Übungen dazu und letztendlich auch bei deren Ausführung. Bei einer Aktion kommt der Vater von dem Kind Kaspar ins Gefängnis. Seine Mutter, auch einer Künstlerin von Voina, winkt zusammen mit ihm aus der Ruinie gegenüber dem Gefängnis dem Vater zu. Die Mitglieder der Gruppe haben immer wieder mit Haftbefehlen und Gefängnis zu kämpfen. Ein toller Film, der einen angeht, über eine interessante Künstler-Polit-Gruppe, die Fragen aufwirft. Auf die Frage an den Regisseur, wie er es findet, dass das Kind immer mit dabei ist, meint er, dass für ihn nichts dagegen spräche. Er fände es nicht besser, wenn die Eltern dem Kind eine heile Welt in dieser kaputten russischen Gesellschaft vorheucheln würden. Der Film zeigt auch die Zuneigung der Eltern und ihrer Freunde für das Kind. Vielleicht der spannenste Film, von der Art der Aufnahmen und deren kapitalismuskritischen Inhalte, auf unserer ganzen Berlinale.

Mittwoch, 22. Februar 2012

Unser Tag "Sieben": Jordanien/Amman und Sankt Petersburg/Leningrad

Image by Lilly Blume
Das Leben eines Taxifahrers in Amman, der Hauptstadt Jordaniens, ist Thema des Films Al Juma Al Akheira des Regisseurs Yahya Alabdallah. Da das Taxi öfters kaputt ist als fahrtüchtig, lernen wir das Leben des Mannes außerhalb seines Berufs kennen. Eigentlich ist er kein Taxifahrer, sondern ein begnadeter Autoverkäufer. Doch sein launischer Chef hat ihn aus verletztem Stolz degradiert. Gesellschaftlich ist er auch degradiert, aus der Mittelschicht gefallen, denn seit seiner Scheidung fehlt es ihm an Geld. Und dadurch fehlt es ihm auch an den früheren Freunden, wie uns im Publikumsgespräch der Regisseur nach dem Film erzählt. Familienväter haben sich in Jordanien um die finanzielle Lage von Frau und Kindern zu kümemrn. Deshalb hat unser Taxifahrer seiner geschiedenen Frau auch ein Appartement gekauft, wo diese nun mit ihrem neuen Mann und Kind wohnt. Der Sohn aus ihrer gemeinsamen Ehe wohnt noch in der kleinen Mietswohnung mit dem Vater. Doch hier krieselt es gewaltig. Dem Jugendlichen fällt das Reden schwer und die geschiedenen Eltern bleiben in ihrem Problemknäuel kleben und vergessen das Zuhören. Es gibt ein vom Vater gefülltes Sparbuch für ein zukünftiges Universitätsstudium des Jungen, dass den gesellschaftlichen Druck auf Vater und Sohn noch einmal verstärkt. Der Film zeigt auch den Weg eines Mannes zu einer Hodenoperation und der Regisseur erklärt uns, dass er mit dem Film die Männlichkeitsvorstellungen in Jordanien porträtieren wollte. Trotz dieser traurigen Wahrheit kann man diesen wortkargen Film gleichzeitig auch als romantische Tragikkomödie genießen.

Der Bauernhof ernährt die große Anzahl der Kinder nicht, so geht ein Sohn in die Stadt, um Arbeit zu finden. Schon mehrere aus seinem Dorf sind dort gelandet, diese Beziehungen sollen ihm helfen in einer Fabrik unterzukommen. Doch Arbeit ist rar am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Sankt Petersburg, das von 1914 bis 1924 dann Petrograd heißt und von 1924 bis 1991 den Namen Leningrad trägt - der Film heißt dementsprechend Konez Sankt-Peterburga (Das Ende von Sankt Petersburg). Unser junger Iwan wird aus Unwissenheit zum Streikbrecher, schlägt sich dann aber auf die Seite der Arbeiter und kommt dafür ins Gefängnis. Als Zwangsfreiwilliger wird er als Soldat entlassen und in den ersten Weltkrieg geschickt. Bilder von vielen Toten in überschwemmten Schützengräben zeigen uns die Grässlichkeiten von Krieg. Im kuschligen Kino sitzend dreht es uns fast den Magen um, denn wir wissen, dass Krieg heute, wie damals und auch in Zukunft, nicht weniger grausam sein wird. Endlich wendet sich die ausgebeutete Mehrheit gegen die unterdrückende Minderheit, Iwan wird zum Revolutionär und stürmt als Bolschewik mit zum Winterpalast. Im Jahr 1927 entstanden, ist dies einer der Jubiläumsfilme zum zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution. Aber auch da war dann schnell der Wurm drin.

Sonntag, 19. Februar 2012

Unser Tag "Sechs": Die rote Traumfabrik in der Retrospektive

Image by Betty Schnee
Heute wurden wir durch unsere Filmauswahl weit in die Vergangenheit zurückgeführt. Mit uns im Saal saßen dabei zu Putjowka w schisn (Der Weg ins Leben) ein paar Schulklassen Jugendliche, die vom strickjackentragenden Moderator herzlich-pädagogisch begrüßt wurden. Gezeigt wurde uns der erste sowjetische Tonfilm, 1931 gedreht, der einen Ausschnitt aus den beginnenden zwanziger Jahre in der UdSSR zeigt. Zu dieser Zeit hat die Bevölkerung gerade eine Ansammlung von Kriegen mit zahlreichen Toten überstanden. In Moskau versuchen sich die vielen Waisen mit Stehlen und Betrügen über Wasser zu halten. Sie sind in Banden organisiert, tragen nur Lumpen am Körper und schlafen auf der Straße oder in Billigunterkünften. Die Polizei nimmt sie immer wieder bei ihren Dieberein fest, steckt sie in Jugendheime, aus denen sie dann wieder ausbrechen. Der Erzieher Sergejew sucht einen Ausweg aus diesem Kreislauf und gründet auf dem Land eine Kommune für straffällig gewordene Jugendliche. Dort gibt es ein ordentliches Leben mit Essen und Arbeit, manche sagen heute zu diesem Ort "Arbeitslager". Das historische Vorbild für die Hauptfigur des Films war der Pädagoge Anton S. Makarenko, dessen wichtigstes Ziel in der Resozialisierung verwahrloster Jugendlicher bestand. Als Meschrabpom-Produktion konnte sich dieser Film, trotz staatlicher Kontrolle, eine gewissen Eigenständigkeit bewahren und darf deshalb als weniger ideologisch durchtränkt von der stalinistischen Diktatur betrachtet werden. Die Diskussion um die Möglichkeiten sozialer Träger, die mit staatlichen Geldern mehr oder weniger erfolgreich Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen versorgen, findet auch heute hier in Berlin statt. Dass es in anderen Ländern nicht einmal eine Minimalversorgung für bedürftige Kinder gibt, sollte uns aber nicht das Recht geben, an dieser Stelle zu sparen, sondern uns in die Pflicht nehmen, weltweit für eine gute Versorgung von Kindern und Jugendlichen einzutreten.

Danach sahen wir unter Documentaries 6 drei Dokumentationen, deren Titel schon deutlich ihren Inhalt beschreiben. Zeitprobleme. Wie der Arbeiter wohnt (D, 1930, 17'), Im Schatten der Weltstadt (D, 1930, 16') - beide in Berlin aufgenommen, zeigen den Unterschied zwischen gewinnorientierten Hausbesitzern und der ärmsten Schicht der Mietparteien. Ja, wir waren nicht im Heute, sondern im Jahr 1930. Danach ging es ein Jahr zurück auf 1929, der Film Um's tägliche Brot brachte uns das Thema Entmietung wegen fehlender Mietzahlungen nah, wiederum klingt diese Thema auch für heute nicht ungewöhnlich. Der Film gilt als Klassiker des proletarischen Dokumentarfilms vor 1933 und beschreibt die Lebensumstände im schlesischen Kohleabbaugebiet Waldenburg. Das wenige verdiente Geld für die viele verrichtete Arbeit reicht nicht mal zur Bezahlung der Nahrungsmittelrechnungen für die Familie, geschweige denn für die Miete der kleinen Wohnung. Für Andere gibt es gar keine Arbeit mehr. Eingestreute Spielfilmszenen verdeutlichen die dokumentarischen Bilder: eine Frau mit vier Kindern verliert ihren Mann unter Tage, sie nimmt aus Mitleid und Solidarität einen Mann auf, der weder Geld fürs Essen noch Aussicht auf Arbeit hat. Erstarrt in ihrer Armut scheint diesen Menschen kein Handeln für ein besseres Leben mehr möglich. Das tragische Ende kleiner Rebellionen drückt die Decke der Schwermut noch tiefer auf ihr Leben. Leider bremsten die Zensur und die unübliche Länge die Aufführungen des Films nach seiner Entstehung, und nach 1933 wurde der Film dann eh verboten.

Freitag, 17. Februar 2012

Unser Tag "Fünf": Brasilien, Kambodscha und Vietnam

Image by Lilly Blume
Eines unserer Bezugsgegenden war heute wieder auf unserem Filmplan: Brasilien. Die brasilianische Filmindustrie kann sich auf reiche inländische Geldgeber stützen, die als Wohltäter im Kulturbereich ihr schlechtes Image aufpolieren wollen. Kaum ein Abspann eines größeren brasilianischen Filmes kommt ohne Unterstützung und die lobende Erwähnung von Petrobras aus, einer der größten Ölfirmen weltweit. Bei unserem heutigen Film Xingu war nun im Vorspann und Abspann "Rede Globo" vertreten, die weltweit drittgrößte Mediengruppe. Ein glänzend-glatter Abenteuerfilm mit voyeuristisch-exotischen Bildern zu einem spannenden Thema, das auch viel dreckiger hätte gedreht werden können. Die Brüder Orlando, Claudio und Leonardo Villas-Bôas treffen bei der Erschließung des brasilianischen Urwalds in den vierziger Jahren auf die Xingu-Indianer. Ein wunderbarer Moment wird uns gezeigt, als sich "die Fremden" gegenseitig betrachten, ihre Angst überwinden und neugierig aufeinander zugehen. So werden diese Menschen aus unterschiedlichen sozialen Systemen Freunde und die Gebrüder Villas-Bôas kämpfen für die Einrichtung des Xingu-Nationalparks mit der Größe von Belgien. Die schönen Bilder haben uns viel von der Traurigkeit um die vielen Toten und politischen Machtgebaren genommen, irgendwie schade.

Danach gehen wir mit dem kambodschanischen Dokumentarfilm Le sommeil d'dor auf die Suche der Reste einer zerstörten Filmgeschichte. Regisseur Davy Chou hat sich der Recherce nach den fast 400 Filmen, die in Kambodscha zwischen 1960 und 1975 entstanden, angenommen. Davon haben das Regime der Roten Khmer nur 30 Filme überstanden. Die Filme, wie die Filmschaffenden, passten als Intellektuelle nicht in die Ideologie der Mächtigen, viele Künstler wurden getötet. Erstaunlicherweise überdauerten Lieder aus den vernichteten Filmen, leben heute auf youtube weiter und helfen, sich den Inhalten der vernichteten Filme zu erinnern. Bei seiner Suche trifft Chou auf Beteiligte der damaligen Filmproduktionen, die überlebt haben und ihm und uns ihre Geschichte einer vergessenen Zeit von Kambodscha erzählen. Interessant dabei sind auch die persönlichen Geschichten, wie die Befragten das Regime der Roten Khmer überlebt haben.

Der vietnamesische Film Hot boy noi loan - cau chuyen vie thang cuoi, co gai diem va con viet bringt uns mit viel Emotionen und einfühlsamem Witz in ein Bad von Gefühlen zwischen schwulen Lebensmöglichkeiten in der großen Stadt, Prostitution, Streit um Geld und der Suche nach Nähe. Ein temporeicher Film mit farbsatten Bildern und kuriosen Wendungen. Regisseur Vu Ngoc Dang erzählt im Q+A, dass noch vor zwei Jahren dieser Film aufgrund der vietnamesischen Zensur nicht möglich gewesen wäre. Ein fesselnder Film mit guten Schauspielern, schnellen Gefühlen und einer Gans. Auch der Schnitt des Films beeindruckt uns, keine Szene ist zu lang und trotzdem wirkt der Film nicht hektisch. Die langen Szenen sind auch gerade richtig, um die Anspannung der Figuren zu spüren und unser eigenes Unwohlsein durch ein Zurechtrutschen im Kinosessel auszudrücken. Ein wirklich gelungenes Zusammenspiel von Form und Inhalt, finden wir.

Donnerstag, 16. Februar 2012

Unser Tag "Vier": von Israel über Brasilien nach Japan

Image by Betty Schnee
Ein leichtes Raunen geht durch den Kinosaal, als der Film Orchim Lerega aus der Sektion Generation 14plus den Vater im Bett mit der Gastgeberin zeigt. Libby, die Tochter von Shaul, schaut verblüfft und wenig erfreut durch den Türspalt zum Schlafzimmer. Achselzuckend erklärt ihr später der Sohn der Frau, dass seine Eltern ein Übereinkommen hätten und das deshalb für seinen Vater in Ordnung gänge. Libby, die Tochter und Shaul, der Vater haben sich schon lange nicht mehr gesehen. Sie wohnt in Kalifornien bei der Mutter und er in Israel. Um den Vater-Kind-Kontakt nicht zu verlieren, haben ihre Eltern diesen langen Besuch organisiert. Shaul ist ein unsortierter wohnungsloser Erfinder und Libby hat als gut organisierte Zwölfjährige eigentlich keine Lust auf diesen planlosen Erwachsenen. Doch langsam erkennt sie auch Vorteile an diesem spontanen Leben, das ein Handeln nicht von Wünschen abhängig macht, die in der unbekannten Zukunft liegen. Als sie jedoch ihr Interesse an einem um sechs Jahre älteren Jungen spontan auslebt, reagiert ihr Vater schroff und überhaupt nicht mehr so entspannt. Im Q+A verteidigt Regisseurin Maya Kenig diese Wendung als die Bewußtwerdung des Vaters gegenüber der Verantwortung für seine Tochter. So verblüfft, wie wir über diesen Bruch im Film waren, sind wir auch über diese einfache Erklärung. Wir hier uns hier ein konservativer patriarchaler Familienstil als verantwortungsvolle Vaterschaft verkauft? Vorher textet Shaul pausenlos und jetzt packt er seine Tochter grob am Arm und presst die Lippen grimmig zusammen. Fazit: unkonventioneller Vater im Hawaihemdenstil kommt mit seiner Coolness durch die Pubertät seiner Tochter an die Grenzen und sucht Halt in den moralischen Werten der Mainstreamgesellschaft. Zweites Fazit: ein toller Film mit überzeugenden Schauspielern, der, bis auf den Schluss, eine Geschichte der wachsenden Wertschätzung zwischen Tochter und Vater erzählt, die in persönlich schwierigen Zeiten in einem politisch unstabilen Land leben.

In dem brasilianischen Film Olhe pra mim de novo (Schau erneut auf mich) wird eine Frau porträtiert, die heute meist als Mann lebt. Silvyo, früher Silvya, strahlt durch den gesamten Film eine lebendige Fröhlichkeit aus und scheint ausnahmslos glücklich mit ihrem neuen Leben und der Penisprothese. Charmant und witzig erzählt er von seinen Entwicklungen als Kind zur Frau, dann zur Lesbe und nun zum Mann. Mit einer freundlichen Leichtigkeit schaut er dabei auch auf seine Familie und Freunde, die nicht immer klar kamen mit seinen Gefühlen und Entscheidungen. In diesen Momenten, wenn er von seinen Eltern erzählt, die ihn als normales Mädchen, als normale Frau haben wollten und wenn er von seiner Tochter erzählt, die ihn nur als Mutter haben möchte, erkennt man die Kämpfe, die Silvyo führen musste und noch muss, um dort glücklich sein zu können, wo er heute steht. Darin spiegeln sich auch die Vorgaben der patriarchalen brasilianischen Gesellschaft wieder, die sich schwer damit tut, Homosexualität und Transgender zu akzeptieren. Außerhalb bestimmer Stadtteile in Rio de Janeiro und Sao Paulo sind Homosexuelle aus Angst vor Angriffen nicht sichtbar. Und dass gilt weiterhin für Brasilien, trotz einer Besucherzahl von 800.000 Menschen bei der LGBT-Parade in Rio de Janeiro letzten Oktober.

Drei japanischen Filme drehen sich dieses Jahr um die Atomkatastrophe von Fukushima. Einer davon ist friends after 3.11, darin geht der Regisseur Iwai Shunji auf die Suche nach Menschen, die sich jetzt nach der Katastrophe aktiv um persönliche und gesellschaftliche Veränderungen bemühen. Auffallend viel gesprochen und diskutiert wird in diesem zweistündigen Film, Inhalte zählen. Bilder der Zerstörung können lügen, denn es war nicht nur ein Erdbeben und ein Tsunami, welche die offensichtliche Zerstörung brachten.  Die tödliche Gefahr liegt im unsichtbaren Bereich der freigesetzten Radioaktivität. Der Film zeigt ein großer Gesprächsbedürfnis, sich durch Diskussionen um eine Neufindung der japanischen Gesellschaft zu bemühen. Beeindruckend erzählt eine jugendliche Bloggerin von ihren öffentlichen Aktionen und ein Professor von seiner Kehrtwende nach Fukushima, er benutzt nun sein ganzes Wissen, um sich gegen die Nutzung von Atomkraft auszusprechen. Wie wichtig es den Menschen ist, sich diskutierend in die Zukunft ihrer Gemeinschaft einzumischen, freundlich und doch mit einer großen Zähigkeit auf ihrer Kritik zu beharren, ist ergreifend und Mut machend anzusehen.
Schön, dass die Berlinale auch dieses Jahr den filmischen Dokumenten zur Stärkung der Demokratie eine Auseinandersetzung vor einem großen Publikum bietet.

Dienstag, 14. Februar 2012

Unser Tag "Drei": Vier Filme : A luta continua!

Image by Lilly Blume
Vor unseren zwei Tagesabschlussfilmen im Cubix waren wir im CineStar unterwegs. Der Eingang über das Arsenal verspricht zur Berlinale immer eine gute Gelegenheit in angenehmer Atmosphäre abzuhängen und einen guten Kaffee zu sich zu nehmen. Wie letztes Jahr, wurde uns dieser wieder von den Prinzessinnengärten eingeschenkt und wir konnten es uns zwischen Pflanzen und Büchern gemütlich machen. Dann ging es mit Kazoku no kuni zuerst nach Japan. Dieser erste Spielfilm der Dokumentarfilmerin Yang Yonghi nimmt als Thema ihre Familiengeschichte auf, wie auch ihre zwei Dokumentarfilme davor. Die Familie Yonghi lebt als koreanische Minderheit in Japan. Um seinem Sohn eine gute Ausbildung zu verschaffen, verschickt der Vater, ein treuer Anhänger von Kim Il-sung und dessen politischen Systems, ihn im Alter von vierzehn Jahren nach Nordkorea. Die damals sechsjährige Regisseurin lernte ihren Bruder deshalb nie wirklich kennen, auch aufgrund des später eingeführte absolute Ausreiseverbots aus Nordkoreas. Ihr Bruder darf nur wegen einer Krankheit noch einmal kurz zu seiner Familie, er soll seinen Gehirntumor in Japan behandeln lassen. Dieses Wiedersehen eines geliebten und doch fremden Familienmitglieds, der vielleicht nur noch einmal in seinem Leben seine Familie sieht, erzählt diese ruhig und gleichzeitig emotional gespielte Geschichte mit wunderbaren Schauspielern nach einer wahren Begebenheit. Wie im wirklichen Leben, wird der Bruder ohne Angabe von Gründen nach kurzer Zeit plötzlich nach Nordkorea zurückbeordert. Eine Operation erfolgte nicht. Ende offen, wie man an den Tränen der Regisseurin Yang Yonghi sehen konnte, als sie vor uns zum Q & A stand.

Der Dokumentarfilm Call Me Kuchu hätte in seiner Tragik nicht schwerer sein können. Der porträtierte LGBTI-Aktivist David Kato wurde während den Dreharbeiten ermordert. Politiker, Presse und die offizielle Kirche fordern in Uganda immer wieder ein Gesetz ein, dass Homosexualität unter Todesstrafe stellen soll. Nach dem Mord befragt, sagt der Chefredakteur der Zeitschrift Rolling Stone in Kampala ganz offen, dass er es besser gefunden hätte, wenn ein offizieller Prozess gegen Homosexuelle mit anschließendem Hängen stattgefunden hätte. Diesen selbstgefällig lächelnden Journalisten hält man kaum aus und wir konnten nur entsetzt halbwegs die Todesangst verstehen, die homosexuelle Menschen in Uganda ertragen müssen. Und trotzdem hatte die Dokumentation eine lebensbejahende Leichtigkeit, bewundernswert, wie hier der Sinn des Lebens eingefangen wurde. Das im Film benannte "A luta continua" kann die Berlinale mit dem Zeigen dieses Films nur unterstützen!

Unseren nächsten Film The Reluctant Revolutionary sollten wir vielleicht auch aus diesem Blickwinkel betrachten, obwohl wir den Auftritt des Dokumentarfilmers Sean McAllister nicht besonders sympathisch fanden: er wunderte sich, dass sich auch beim dritten Screening so viele Zuschauer im Kino einfanden. Aber wir waren doch neugierig auf einen Bericht aus dem Jemen, einem fernen Land, dass wir nur von den Erzählungen einer befreundeten Entwicklungshelferin kannten und deren Verkleidungskünste wir damals schon leicht irritiert betrachteten. Die Geschichte: da in Syrien in Sachen Revolution nicht so viel zu holen war, geht unser Dokumentarfilmer in den Jemen. Dort heuert er einen Fremdenführer an, der wegen der Unsicherheiten im Land am Rande des Ruins steht. Doch eigentlich interessiert sich der Fremdenführer nicht für Politik, er will Touris rumkutschieren und Kath kauen. Seine Frau, die in der unteren Etage seines Hauses wohnt, soll währenddessen seine Kinder bekommen und aufziehen. Und so männerlastig geht der Film auch weiter. McAllister und sein Fremdenführer fahren durchs Land, besuchen die Demonstrationen in Sanaa und kauen mit den Demonstranten backenfüllendes Kath. Alles wirkt unsortiert, die Zelte der Demonstranten und die Ärzte, die die Verwundeten pflegen und der Kamera die Toten zeigen. Und wir können nicht unterscheiden, ob diese Planlosigkeit im Jemen immer so war oder nur heute so ist. Auf die Nachfrage beim Q & A, warum uns nicht mehr Kontext gegeben wird, hieß es, wir sollten dazu doch im Internet nachschauen. Stattdessen wurde uns von McAllister erklärt, dass Kath eine ähnliche Wirkung wie Marihuana hätte und unser Dokumentarfilmer gegen den schlechten Geschmack mit Wodka nachgespülte. Von Freunden wurden wir nach unserer massiven Kritik an dem Film belehrt, dass die offizielle Politik im Jemen immer behauptet hätte, sie hätten nie auf Demonstranten geschossen und das der Film genau hier das Gegenteil beweisen würde. Auch das eine Revolution wohl eher ziellos zielsuchend vor sich ginge, wie der Film zeige, sei normal, da der Übergang in ein neues funktionierendes System erst ausgehandelt werden müsse. Und dass die durch diese unruhige Zeit stiefelten zwei Männer doch ganz schön mutig gewesen seien, um diese Aufnahmen zu machen. Trotzdem fühlten wir uns als weiblich definierte Wesen mit diesem Film so gar nicht gemeint.

Da strich dann unser vierter Film Highway etwas Balsam auf unsere Fehlstellen, die Geschlechterhierarchien scheinen in Nepal nicht so starr zu sein und Frauen dürfen allein und selbstverständlich neben Männern im Bus fahren. Die nepalesischen Zeitungen sind voll begeisterter Berichte darüber, dass es zu ersten Mal ein Film aus ihrem Land und über ihr Land auf die Berlinale geschafft hat. Das wissen wir, weil wir über drei Ecken eine in Nepal wohnnende Frau irgendwie kennen, die in diesem Film sogar eine kleine Rolle spielt. Obwohl dieser Spielfilm inhaltlich freundlicher daherkommt, gibt es auch hier zwei Tote, die auf das Konto der Macht in Person eines unantastbaren Polizisten gehen. Als Roadmovie konzipiert, versuchen eine Busladung voll Menschen auf einer sich tagelang hinziehenden Fahrt, in die Hauptstadt Kathmandu zu gelangen. Um an den immer wieder stattfindenden Straßenblockaden, genannt "Bandh", vorbei zu kommen, tarnen sie sich als Hochzeitsbus. Denn ein Bus, in dem ein Hochzeitspaar mit ihrer Hochzeitsgesellschaft sitzt und eine Blaskapelle aufspielt, wird an der Weiterfahrt nicht gehindert. In Einblendungen bekommen wir die Gründe für die Eile mitgeteilt, welche die einzelnen Fahrgäste dazu bewegt, sich auf das Spielen einer Hochzeitsgesellschaft einzulassen. Diese auf den Einzelnen heruntergebrochenen menschlichen Gefühle wirken gar nicht so weit weg. Wir gehen aus dem Film und sind ganz verblüfft über die nahe Ferne dieser Menschen und wünschen ihnen, dass sie einen Weg aus ihren Verstrickungen und Traurigkeiten finden. Was uns besonders gut an der Umsetzung des Films gefiel: die Dialoge wurden völlig den Schauspielern überlassen und das hat wunderbar funktioniert. Und dann war da noch Danny Glover im Abspann als Koproduzent benannt.

Sonntag, 12. Februar 2012

Unser Tag "Zwei": Wärme und Kälte

Image by Betty Schnee
Vor der Wärme des ersten Films war wieder anstehen angesagt. Der rote Teppich teilte am Samstag erstmals den Glasraum des International in drei Teile. Die Kassenzugehörigkeit war damit klarer, doch das Schlängeln wurde durch eine sich kreuzende Reihe schwieriger. Die Frau vor uns hatte Pech, trotzdem sie seit neun Uhr angestanden hatte, bekam sie um elf Uhr ihre einzige Wunschkarte nicht. Wir hatten wieder Glück mit unseren Kartenwünschen und fragten uns, wollen wir in die falschen Filme? Mit Espoir voyage begaben wir uns dann nachmittags auf eine Reise zwischen Burkina Faso und der Elfenbeinküste. Der Regisseur Michel K. Zongo machte sich auf diesen Weg, um Erinnerungen an seinen älteren Bruder zu finden, den er kaum kennenlernen durfte. Mit vierzehn Jahren ging Joanny von zuhause fort, um Arbeit in der Elfenbeinküste zu finden. Irgendwann kam dann die Nachricht bei der Mutter an, dass der Bruder tot sei. Niemand wusste was passiert war, welches Leben er nun geführt hatte, ob er Freunde hatte. Michel K. Zongo versucht den Weg seines Bruders nachzuzeichnen und wir konnten spüren, wie emotional wertvoll es ist, wenn wir wissen, welches Leben unsere Liebsten führen. "Verschwinden lassen" war und ist ein machtvolles Auftreten paramilitärischer Organisationen, ein Schrecken im kleinen Kreis mit großen Wirkungswellen. In diesem Film ist es die scheinbar weniger brutale ökonomische Dimension, die diese Trennung erzwingt und die Zurückgelassenen in Ungewissheit lässt. Man überlege nur, wie sich das auf Arbeitsmigranten in Deutschland übertragen lässt.

Die Tragödie unseres nächsten Films Schiwoi trup zeigte das Missverhältnis zwischen der Macht des Gesetzes und dem Wunsch des Individuum.Der Film nimmt die Ende der zwanziger Jahre in Deutschland geführte Diskussion, ob Scheidungen möglich sein sollten, auf. Der traurige Ehemann, dessen Frau sich auf Dauer in einen anderen Mann verliebt hat und deren Gefühle er akzeptieren kann, da er sich auch für eine andere Frau erwärmt: soll er nun den Strick nehmen, um das Problem zu lösen? Doch seinen Wünschen wäre durch seinen Tod nicht geholfen und er entscheidet sich dagegen. In tragischer Weise spitzt Schiwoi trup dieses Thema moralisch zu, indem die Idee der glücklichen Liebe nichts gilt, wenn das Gesetz nicht zustimmt. Der einzelne Mensch kann noch so integer nach seinen Gefühlen handeln, er wird versagen müssen, wenn die Rechtssprechung gegen ihn steht. Die Frau neben uns heulte sich die Seele aus dem Leib. Die Möglichkeit, die kirchlichen und gesetzlichen Einschränkungen beim Beziehungsleben nicht als nötig zu betrachten, kam etwas später bei weniger konservativ eingestellten Menschen dann doch noch auf...

Samstag, 11. Februar 2012

Unser Tag "Eins"

Image by Lilly Blume
Freitag früh, unser Tag "Eins" der Berlinale. Trotzdem natürlich morgens vor den Filmen anstehen für die Karten für  Montag. Ein glückliches Gesicht zeigte die Frau, die bereits um 6 Uhr morgens als Erste in der Kälte vor dem International wartete und dann ihre vier Karten an der Kasse bekam. Wir mussten dann noch vierzig Minuten weiterschlängeln, bis wir unsere in der Hand halten konnten. Dann nochmal nach Hause, unseren Berlinale-Plan überprüfen, die Nummern für den nächsten Morgen raussuchen, Kaffee trinken und los zum ersten Film. Das war dann eine kleine Sozialkomödie aus der Retrospektive: Dewuschka s korobkoi. In diesem Film von 1927 war alles drin, was auch Hollywoodkino ausmacht: Verwicklungen der Liebe, ein hübsches armes Mädchen, die große Stadt (Moskau) und das Landleben, eine Waise lebend bei dem geliebten Großvater. Ihr ehemaliger Arbeitgeber will sie betrügen, doch sie kommt gerade deshalb zu viel Geld und muss nun ihren Geliebten überzeugen, dass sie trotz ihres neuen Reichtums nur ihn haben will. Und zum Schluss bekommt auch der verschmähte Liebhaber von dem glücklichen Paar einen Kuss auf die Wange.

Danach gab es nochmal viel Landschaft zu bewundern, dieses Mal ohne Schnee und in Farbe und aus dem Süden der Türkei: Tepenin Ardi. Beeindruckend standen alle Beteiligte des Films nach der Vorstellung in einer langen Reihe vor der Leinwand. So intensiv die Darsteller ihre Rollen ausgefüllt hatten, so unaufgeregt standen sie nun da. Die Handlung drängte ein paar Mal die Metaphern schon augendrehend deutlich auf - armer Mann, zehn Jahre ohne Sex und jetzt kann er seine Schwägerin zwingen, denn diese patriarchale Gesellschaft läßt ihr keine Wahl? Doch die kleinen Ängstlichkeiten, die immer wieder in den Gesprächen, der mit ihrer Männlichkeit kämpfenden Mitglieder der Familie auftauchen, erschrecken auch uns: zwei kullernde Steine liesen uns die Hände in den Sitz krallen. Der Regisseur Emin Alper sagte, er wollte im kleinen familiären Kreis zeigen, wie Gesellschaft funktioniert. Wir hoffen, dass die im Film offen gelassenen Geschichten in der realen Gesellschaft nicht so böse enden, wie der Film mit dem Marsch der Männer auf den Berg suggeriert.

Mittwoch, 8. Februar 2012

Hotspot International

Image by Betty Schnee
Zwischen 9 und 11 ist hier die Hölle los. Erst eine halbe Stunde draußen frieren, dann gehen die Türen auf und alle versuchen irgendwie zwei Reihen zu bilden. Denn der Kartenkauf an den beiden Kassen in unserem heißgeliebten Kino International ist der Renner der gemütlichen Muffigkeit. Aber Schlangenbildungen ohne sortierende Stöckchen samt Kordeln ist in diesem engen Glasraum leicht verwirrend, egal wie willensstark wir hoffnungsvollen Kinogänger sind. Dieses Jahr hat sogar die Uhr an der linken Seite die Hilfe zur Orientierung aufgegeben und ist kurz vor 16 Uhr einfach stehen geblieben. Je enger es wird und je länger wir stehen, je mehr erfahren wir vom Leben der Anderen. Wir lächeln, nicken, verstehen, ignorieren erst das Klingeln und murren dann ins Handy. Doch leider fehlt zur endgültigen Frühstücksgemütlichkeit noch der schwebende Duft von frischem Kaffee und das Rascheln kostenlos ausliegender Zeitungen. Vielleicht entwickelt sich ja noch ein kapitalistischer Service hier im Osten. Wir werden darauf achten, wann die Uhr sich wieder dreht. Ansonst fühlen wir uns in diesem sozialistischen Bau wie zuhause und fürchten bereits jetzt die Zeit ab nächsten Donnerstag, denn dann dürfen wir dort drinnen nicht mehr gemeinsam wach werden.

Dienstag, 7. Februar 2012

Kalt ist es draußen und drinnen wird es bald dunkel werden

Image by Betty Schnee
Juhu, die ersten Karten sind in der Tasche. Leider waren wir doch etwas spät am Schalter, so dass wir nicht alle gewünschten Tickets bekommen konnten. Vielleicht lag es aber auch an dem graumelierten blaubeschalten athletischen Mittfünfziger, der drei Menschen vor uns in der Schlange stand und keine Ahnung hatte. Hände in den Hosentaschen fragte er schlaksiglässig den entspannten Kartenverkäufer nach so ein paar Filmen, irgendwie wusste er noch ungefähr den Titel und den Ort. Der junge Mann hinter der Glasscheibe blätterte fleißig im Heft hin und her und suchte die passenden sechsstelligen Nummern heraus. Doch es bleibt noch Zeit zum Üben und wir werden jetzt früher aufstehen.

Sonntag, 5. Februar 2012

Es ist fast soweit - in 10 Tagen um die Welt

Image by Lilly Blume
Ab Montag können wir endlich für ein paar unserer geliebten Filme aus aller Welt Schlange stehen. Bei unserer Planung mussten wir aber wieder feststellen, dass das nicht-arabische Afrika, wie auch  bereits letztes Jahr, kaum vertreten ist. Dazu behauptete letztes Jahr ein taz-Artikel, der geringe Anteil afrikanischer Filme komme von der kleinen kontinentweiten Filmindustrie, die nur wenige gute Filme hervorbringe. Hm. Es scheint uns eher, als ob die Berlinale ein "achtung berlin" für die Großen wird und deshalb das Angebot deutscher Filme im Festival stetig zunimmt. Das FESPACO, das panafrikanische Film- und Fernsehfestival in Ouagadougou, macht ja auch auf kontinental. Für uns beide ist das ein bisschen schade. Wir haben uns immer auf die vielen Filme gefreut, die uns Identitäten, Gesellschaften und Landschaften näher brachten, die wir nie bereisen würden können. Und jetzt, soviel Inland.

Montag, 23. Januar 2012

Das Anstehen und das BVG-Ticket

Image by Lilly Blume
Mit dem Aushandeln der Anstehzeiten für die Karten fangen wir jetzt schon mal an. Zu Bedenken gibt es dabei das BVG-Monatsticket für Spätaufsteher - so spät ist das nun auch nicht, man kann schon ab 10 Uhr morgens damit fahren. Doch um 10 Uhr macht bereits der Kartenschalter im International auf. Können wir für die Berlinale zum Frühaufsteher werden, besonders wenn wir bis spät nachts in dunklen Sälen lungern? Die Frage lautet auch: mit wieviel Schlaf werden wir auskommen können, ohne schon beim zweiten Film gegen herabsinkende Augendeckel anzukämpfen. Eine verzwickte Geschichte, denn wenn wir zu spät am Kartenschalter stehen, könnte es sein, dass wir die gewünschten Karten nicht bekommen. Es könnte auch sein, dass wir trotz langem Anstehen die gewünschten Karten bekommen, aber wegen der Wartezeit den ersten Film des Tages verpassen. Doch bei wenig Schlaf leitet der Teint, die Sozialkompetenz fährt zurück und die Aufnahmekapazität des Hirns reduziert sich auch. Ganz zu schweigen von dem peinlichen Schnarchen im Kinosaal. Also, wir diskutieren da noch eine Weile dran...

Sonntag, 15. Januar 2012

Wir bereiten uns vor

Image by Betty Schnee
Wir brauchen eine Urlaubsliste über passende Kleidung, eventuell nötige Medikamente und einen to-do-Terminplan mit Einkaufsliste.
Doch zur Einstimmung haben wir uns dieses Wochenende erst mal Bilder von der letzten Berlinale angeschaut und nächste Woche kommen die Filme von Mike Leigh dran.