Donnerstag, 23. Februar 2012

Unser Tag "Acht": UdSSR, Baku und die Russische Förderation

Image by Betty Schnee
Unter Documentaries laufen in der Retrospektive Dokumentarfilme aus der UdSSR. Teil 4 brachte uns heute zuerst Pjatiletije sowjetskoi Rossii (Fünf Jahre Sowjetrussland) von 1922 vors Auge. Wir waren noch nie in Russland, noch nie in Moskau, vielleicht sind uns deshalb die Dimensionen, die diese Militärparaden annehmen konnten, unvorstellbar. Viele Menschen, in Reihen oder unsortiert, stehen auf dem Roten Platz, darunter ein paar mit uns heute noch bekannten Namen, wie Clara Zetkin und Leo Trotzki - der mit dem Eispickelende. Bilder vom Komintern-Kongress 1922 sind auch dabei. Insgesamt ein beeindruckendes und seltenes Dokument der Zeitgeschichte.
Danach kam eine Dokumentation über Baku, Drugaja schisn (Das andere Leben), und zeigte uns in zweiundsiebzig Minuten den Einzug der Moderne in die Steppe dieser ölreichen Gegend. Zuerst werden uns eine Unmenge von verschmierten Öltürmen und Menschen, die sich ganz verhüllen, um sich vor dem ewigen Staubwind zu schützen, gezeigt. Doch dann verändert sich das Bild, wird freundlicher: Häuser werden gebaut, Gärten werden angelegt, Fabriken mit Kantinen und Kindergärten entstehen, Straßenbahnen fahren - darunter die erste elektrische Tram des Sowjetreichs. Die Hochhäuser sehen freundlicher aus als diejenigen, die wir aus den siebziger Jahren aus West- und Ostberlin kennen. Eine erstaunliche Modernität entsteht in dieser aserbaidschanischen Stadt der dreißiger Jahre, in der zehn Jahre nach dem Rauswurf der ausländischen Ölkönige nun der ökonomische Reichtum der Bevölkerung vor Ort zugute kommt.

Unser zweiter Film geht ins heutige Russland, die russische Förderation. Für diese Dokumentation begleitete Regisseur Andrey Gryazev die Künstlergruppe "Voina" (Krieg) über eine längere Zeit bei ihrer Arbeit. Den Titel des Films, Zavtra (Morgen), hat er mit bedacht gewählt, erzählt uns der Regisseur während des Q+A. Er will damit auf die schwierige Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der russischen Gesellschaft verweisen. Gleich am Anfang des Films sehen wir Menschen auf Klautour in einem Drogeriemarkt. Dabei ist für uns erst mal schwer zu verstehen, dass einer der Männer ein Kleinkind im Tragerucksack auf dem Rücken trägt. Draußen läßt die Gruppe den nachgerannten Wachmann alt aussehen, er hat argumentativ und körperlich keine Chance gegen die vier Leute. Wir sehen die KünstlerInnen bei der Planung von Aktionen, bei den Übungen dazu und letztendlich auch bei deren Ausführung. Bei einer Aktion kommt der Vater von dem Kind Kaspar ins Gefängnis. Seine Mutter, auch einer Künstlerin von Voina, winkt zusammen mit ihm aus der Ruinie gegenüber dem Gefängnis dem Vater zu. Die Mitglieder der Gruppe haben immer wieder mit Haftbefehlen und Gefängnis zu kämpfen. Ein toller Film, der einen angeht, über eine interessante Künstler-Polit-Gruppe, die Fragen aufwirft. Auf die Frage an den Regisseur, wie er es findet, dass das Kind immer mit dabei ist, meint er, dass für ihn nichts dagegen spräche. Er fände es nicht besser, wenn die Eltern dem Kind eine heile Welt in dieser kaputten russischen Gesellschaft vorheucheln würden. Der Film zeigt auch die Zuneigung der Eltern und ihrer Freunde für das Kind. Vielleicht der spannenste Film, von der Art der Aufnahmen und deren kapitalismuskritischen Inhalte, auf unserer ganzen Berlinale.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen