Montag, 16. Februar 2015

Sonntag: Saigon, Minnesota und das Leben der Nina Simone

Haus der Berliner Festspiele by Lilly Flowers
Saigon, offiziell Ho Chi Minh Stadt, wird in "Cha và con và" (Unsere sonnigen Tage) der Mittelpunkt des Fotografiestudenten Vu. Doch immer wieder ist er bei seinem Vater, der im Mekong-Delta wohnt.  Hier herrscht ein rauhes patriarchales Gefüge, die Frau ist dazu da, um dem Mann zu dienen, ihm das Essen zu kochen, zu servieren und dann wieder abzuräumen. Gegessen wird geschlechtergetrennt und der Vater sucht für den schüchtern erscheinenden Sohn die zukünftige Frau aus, die als Waise in Abhängigkeit von ihm lebt. Doch der Sohn ist mehr an seinem besten Freund interessiert, aber dieser hält sich immer etwas auf Distanz, scheint eher bisexuell. Er vertickt im Nachtclub, in dem er als Barkeeper arbeitet, Drogen an die jungen Menschen, die ihrer elterlichen Welt entfliehen, oder ihre Armut vergessen wollen. Die Welt der Techno-Disko kontrastiert sich mit dem traditionellen Gefüge auf dem Land.
       In Minnesota betrachtet die sehr persönliche Dokumentation "The Seventh Fire" Native Americans, die ihr Zuhause im Ojibwe Reservat haben, ein zerstückeltes Leben von zwei Männer zwischen Kindern, Knast und Drogen. Es scheint keine Möglichkeit, eine sinnvolle Struktur ins eigene Leben zu bringen, der Müll wird in der improvisierten Verbrennungsanlage vor der Tür abgefackelt und die Kinder rund um Drogen produziert und groß gezogen. 
       "What Happened, Miss Simone?" erzählt, in der von ihrer Tochter Lisa Simone Kelly mitproduzierten Dokumentation, das politische und private Leben der wunderbaren Sängerin, Pianistin und Songschreiberin Nina Simone.

Sonntag, 15. Februar 2015

Samstag: eine Zwölfjährige in Kabul, ein Mädchen in Guatemala, zwei Teenager in Japan, In the Middle auf Hawaii

HKW by Lilly Flowers
       Heute war für uns der Tag der Generation, die auch immer die unweigerlich damit verbundene Erwachsenenwelt reflektierte. 
       Zuerst sind wir mit "Mina Walking" auf den Straßen Kabuls, durch die sich Mina bewegt zwischen dem für sie wichtigen Schulgang und der Organisation ihres restlichen Familienlebens. Das besteht aus ihrem dementen Großvater und ihrem sich in Drogen verlorenen aggressiven Vater. Statt umsorgt zu werden und sich durch den Schulbesuch ein besser Leben als Mädchen zu erarbeiten, muss sie als Straßenverkäuferin in der männlich dominierten Öffentlichkeit das Geld für ihre beiden Familienmitglieder zusammen bekommen, einkaufen, kochen, waschen und putzen. Ihr Schulbesuch wird dabei immer weiter zum Luxus. Doch stark kämpft sie gegen das einschränkende Leben an, lässt sich nichts gefallen und kommt doch aus der patriarchalen Umzingelung nicht heraus.
       Das größte Haus der Welt, "La casa más grande del mundo", ist für das Maya-Mädchen Rocío das zerklüftete Hochland Guatemalas. Dort lebt sie mit ihrer schwangeren Mutter und ihrer Großmutter in einer Holzhütte. Eine Herde Schafe ist ihre Lebensgrundlage, um die sich das zaghafte kleine Mädchen ohne Mutter kümmern muss, als diese in den Wehen liegt und von der Grußmutter in der ärmlichen Hütte bei der Geburt unterstützt wird. Sie treibt die Herde durch das weite, karge Hochland, trifft auf weiter Menschen, die dort ihr ärmliches Leben fristen. Als ihr ein Lamm fehlt, muss sie sich in der Weite der Berge auf die Suche machen, um alle abends wieder zusammen in den Stall sperren zu können.
       In Japan hat das Gothicmädchen Shiori über ihren Live-Chat viele Fans gewonnen, darunter auch Ayumi. Diese ist von zuhause abgehauen, um der von ihr bewunderten Shiori zu begegnen. Langsam schleicht sie sich in ihr Leben und kommt zuerst Shioris Freund näher als ihr selbst. Alle drei bewegen sich in einer Jugendkultur, die sich gegen die anstehende Einpassung in die Erwachsenenwelt wehrt. "Wonderful World End" begleitet die Jugendlichen, die über sms, Live-Chats, Blogs miteinander kommunizieren und in der bunten Konsumwelt der Großstadt abhängen - und irgendwo auf dem Weg entwickelt sich aus dem Freund ein Zombie. Ein schräges Märchen über eine langsam entstehende Zuneigung.

       Am Schluss des Tages kamen wir dann endlich wieder mal nach Hawaii. Wir lernten "Kuma Hina" kennen, eine Lehrerin, die früher als Mann gelebt hat. Sie unterstützt ihre Schülerin Ho'onani darin, auch ihren männlichen Anteil leben zu können. Der Platz in der Mitte, der Platz zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht ist in der hawaiianischen Tradition ein zulässiger eigenständiger Platz. Erst die Christianisierung hatte die Einwohner_innen Hawaiis dazu gezwungen, sich auf zwei Geschlechter zu reduzieren. Ein 25 Minuten Kurzfilm über die historische Dimension der als so natürlich erscheinenden christlichen Geschlechterpolarisierung. 

Samstag, 14. Februar 2015

Freitag: mit Generation-Shorts in einige Länder, danach Brasilien und Burkina Faso

HKW by Lilly Flowers
Heute haben wir zum ersten Mal ein Kurzfilmprogramm besucht, bei der Generation Shorts 1 14plus, und so kamen wir innerhalb kürzester Zeit in einigen Ländern, wenn auch nur kurz, vorbei.
Danach ging es mit "Brasil S/A" (Brazilian Dream) in das große Brasilien, wobei der Regisseur Marcelo Pedroso im Publikumsgespräch sagte, der Film könne überall auf der Welt als Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen spielen.
In Koudougou, der drittgrößten Stadt Burkina Fasos, in der Regisseur Michel K. Zongo geboren wurde, wurde nach der Revolution eine erfolgreiche und große Textilindustrie aufgebaut, die fast der ganzen Stadt Arbeit gab. Wie es zu deren Abwicklung kam und wie dies die Menschen dort betraf, zeigt er in seinem sehenswerten Dokumentarfilm "La sirène de Faso Fani" (The Siren of Faso Fani). 
 

Donnerstag, 12. Februar 2015

Donnerstag: Ponar, Litauen

Posters between by Lilly Flowers
Als die RegisseurInnen Limor Pinhasov Ben Yosef und Yaron Kaftori Ben Yosef die in Flaschen versteckten und nach Ende des Kalten Krieges in russischen Archiven gefundenen Tagebucheinträge eines Journalisten, der bis 1944 in Ponar lebte und dann erschossen wurde, in Tel Aviv lasen, konnten sie es sich nicht vorstellen. Es wäre, wie wenn im Park nur ein paar hundert Meter entfernt von ihrer Wohnung, Tag für Tag tausende Menschen erschossen würden und sie würden daneben weiterleben. So fuhren sie zu diesem Ort in Litauen und befragten die DorfbewohnerInnen, die gerne Auskunft gaben, zu dieser Zeit zwischen 1941 und 1944 und den Massenhinrichtungen von mehr als einhundertausend Menschen. "Me'kivun ha'yaar" (Out of the Forest) heisst diese aufschlussreiche und bewegende Dokumentation, die am 15.2. noch einmal im Delphi zu sehen sein wird.

Mittwoch: Gegen das Vergessen

Cinema Arsenal by Lilly Flowers
Im Rahmen des Arsenal-Projekts "Asynchron. Dokumentar- und Experimentalfilme zum Holocaust" werden alte Filmdokumente digitalisiert und dadurch haltbar und leichter zugänglich gemacht. Dazu gehört nun auch die Dokumentation "Ha'makah ha'shmonim ve'ahat" (The 81st Blow) aus dem Jahr 1977. Im Ghetto von Przemysl wurde ein Junge mit 80 Schlägen fast zu Tode geprügelt, dass man ihm dies später nicht glaubte, versetzte ihm den 81. Schlag. In Israel brachte erst der Eichmann-Prozess 1961 die Greueltaten der Nazis in das weitere gesellschaftliche Bewusstsein. Dieser Fim macht sich zur Aufgabe, mit ausschließlich historischen Film- und Fotoaufnahmen, das jüdische Leben in Europa, das Aufkommen des Nationalsozialismus, die jubelnden deutsche Massen, die Pogrome, Deportationen und Vernichtung, Akte des Widerstands und den Aufstand im Warschauer Ghetto zu dokumentieren. Der 115 Minuten lange Film ist so geschnitten, dass er auch in kleineren Einheiten zu Unterrichtszwecken genutzt werden kann.

Mittwoch, 11. Februar 2015

Dienstag: zwanzig Länder per Containerschiffe, Troy im Bundesstaat New York

Arsenal, Prinzessinnengärten by Lilly Flowers
Auf riesigen Containerschiffen und Tankern ist die Regisseurin als Teil der Crew über die Meere geschippert und hat mit ihnen an zwanzig Ländern angelegt. Da es auf solchen Schiffen keine Passagiere gibt, reiste sie als Teil der Mannschaft, obwohl sie hauptsächlich filmte und dabei eine immense Menge an Material zusammentrug. Dadurch entstanden malerische und krachende Bilder von brechendem Eis, wie bei der Fahrt von Norwegen nach Japan, Schluchten zwischen gestapelten metallischen Containern bei rauhem Seegang und ruhige grüne vorbeiziehende Landschaften gesehen von Deck bei Sonnenschein. Dazwischen traf Regisseurin Evangelia Kranioti, die als gebürtige Griechin meist mit einer griechischen Reederei unterwegs war, auch auf viele männliche Crewmitglieder, die sich ein kleines Gemeinschaftsleben auf ihren langen einsamen Reisen an Bord gestalteten. Jeden Abend gab es ein gemeinsames Essen, danach einen Actionfilm und manchmal ein kleines Grillfest. Da in der heutigen Zeit das Be- und Entladen schnell gehen muss, bleibt nicht viel Zeit für den Landgang bis zum nächsten Auslaufen. Dies spüren auch die Frauen an Land, die in jedem Hafen auf die Seemänner warten. In einem Hafen in Chile traf Evangelia Kranioti auf die ältere Prostituierte Sandy, die ihr vom Warten auf die Rückkehr ihrer geliebten griechischen Seemänner erzählte. Für ihren dokumentarischen Film "Exotica, Erotica, Etc." schnitt die Regisseurin, die auch die Kamera geführt hat, zwischen dem Blick auf die großen Schiffe und der rauhen Natur, ihren Blick auf die an Bord arbeitenden Männer und die im Hafen wartenen Frauen, die zwischen Prostitution und Zuneigung zu diesen Seemännern stehen.
   Danach ging es in die Kleinstadt Troy, um die 50Td EinwohnerInnen, im Bundesstaat New York. Dort lebt die schon etwas ältere Helen mit ihrem Mann Roy, die eine Reborn Doll, auch als fake baby bezeichnet, wie ihr echtes Baby mit zum Einkaufen nimmt und jede Nacht aufsteht, um ihm eine Flasche zu geben. Wie die RegisseurInnen Rania Attieh und Daniel Garcia erzählten, war ihre Begegnung mit dieser Form der Puppen, die einem echten Baby täuschend ähnlich sehen und von manchen Frauen wie ein wirkliches Baby behandelt werden, ein Grund, den Fokus ihres Films darauf auszurichten. Die zweite Helen im Film lebt auch in Troy und geht zusammen mit ihrem Partner davon aus, dass sie schwanger ist. Es geschehen unerklärliche Dinge in der Stadt, es wird gesagt, ein Meteorit könnte eingeschlagen und deshalb würden sich einige Menschen merkwürdig verhalten, sie starren an Wände und manche verschwinden. "H." bringt dieses normale Leben in der Stadt Troy zusammen mit der Sehnsucht von zwei Frauen, die ein Kind als ein Teil ihres Lebens haben möchten. Die jüngere Helen bildet mit ihrem Mann zusammen ein KünstlerInnenehepaar, das durchaus den aggressiven Anteil in einer engen Beziehung in ihrer Kunst ausdrückt. Vor StudentInnen erklären sie, das sie als Paar einen schonungslos ehrlichen und offenen Umgang miteinander pflegen. Nach vierzig Jahren Ehe stellt Roy betrübt gegenüber einem Freund fest, dass er immer wieder seine Ehe mit Helen in Frage stellt, die so scheinbar harmonisch ist. Das KünstlerInnenehepaar trifft inzwischen der Schock einer möglichen Scheinschwangerschaft und lässt sie erstmal sprachlos in ihrer bis dahin perfekt designten intellektuellen Ehe zurück. Ein bisschen Science Fiction bringt die Beziehungsfragen, die hinter den alltäglichen Arrangements schlummern, in den Alltag und macht mehr Denkanstöße auf, als von der jungen Crew mit seinen fünf ProduzentInnen wahrscheinlich intendiert war...als ZuschauerIn kann man in der kühlen Winterlandschaft Troys so persönlich angesprochen, gut mitgehen, doch falls jemand mehr von Helenas Troja erwartet, wird ersiees außer ihrem Kopf nicht viel zu sehen bekommen. Dafür gibts ja dann andere Filme, die leider nicht immer diese Tiefe erreichen.

Dienstag, 10. Februar 2015

Montag: eisiges Kars während der türkischen Militärdiktatur, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland und den USA

Berlin, Cinema Zoopalast by Lilly Flowers
Im schneereichen kalten Winter 1980 verbringen die dreizehnjährigen Jungs ihre schulfreien Nachmittage mit ihren Schlitten. Die drei Freunde suchen nach Kohlen, um Zuhause den Ofen füttern zu können. Doch die Kohlenabgaben sind limitiert und irgenwann bekommt der kurdische Teil der Bevölkerung keine Zuweisungen mehr. Der Film "Kar Korsanlari" (Schneepiraten) zeigt, wie jedes kurdische Wort in der Schule mit Disziplinierungen durch den Lehrer bestraft wird, die Kinder sollen sich gegenseitig schlagen oder anspucken oder bekommen das Lineal ins Gesicht geschlagen. Doch draußen, mit ihren kleinen Holzschlitten, sind sie frei. Mit zahlreichen Tricks versuchen sie, an Kohlen zu kommen, damit die Familie nicht frieren muss, oder transportieren Wasser auf den Holzschlitten. Und gleichzeitig zur frostigen Umgebung ist die Kälte der Unterdrückung zu spüren. Der Denunziant wird mit einer Papiertüte über dem Kopf von der türkischen Polizei durch die Straßen gefahren. Die Kinder sind noch zu klein, um als Staatsfeinde zu gelten, aber sie kommen bei ihrem Streunen durch die zugeschneite Stadt mit der sie überragenden mächtigen Burg, immer wieder an die durch das Militär gesetzten Grenzen. Bekannt wurde Kars 2011 auch durch den durch Ministerpräsident Erdogan initiierten Abriss des 2006 errichteten, ca. 30 Meter hohen Denkmals "Insanlik Abidesi" (Menschlichkeitsdenkmal). Bereits 2006 erhielt Orhan Pamuk für "Schnee", einem in Kars spielenden Roman, den Literaturnobelpreis.
Bei unserem zweiten Film wohnten wir heute einer Weltpremiere bei, obwohl "Strange Victory" von Leo Hurwitz, bereits 1948 fertig gestellt wurde. Doch seine kritische politische Aussage passte nicht in die damalige Welt - und kritisiert gleichermaßen die heutige. 

Montag, 9. Februar 2015

Sonntag: politische Kunst aus Zimbabwe und Südafrika

Entrance Cinema Arsenal by Lilly Flowers
Die weiße Frau, gespielt von der Filmproduzentin Anna Teeman in dem Film "Black President", ist immer wieder wie ein Fremdkörper in der südafrikanischen Landschaft und Gesellschaft zu sehen. Tatsächlich folgt der Film dem Künstler Kudzanai Chiurai, den Anna Teeman in London traf und mit dem sie zusammen auf die Idee für den Film kam. Als Regisseur fanden sie nach einigem überlegen den südafrikanischen Musiker und Regisseur von Musikvideos Mpumelelo Mcata, der einfühlsam die politisch-künstlerische Auseinandersetzung des Künstlers mit dessen Bildern, Spielsequenzen, Ton und Text als dokumentarische Begleitung von Kudzanai Chiurai in Szene setzt. In Zimbabwe aufgewachsen, musste er aufgrund seiner kritisch-künstlerischen Auseinandersetzung mit Robert Mugabe das Land verlassen und ging nach Südafrika. Dort studierte er an der Kunstuniversität von Pretoria. Weltweit bekannt wurde er durch seine kritischen Auseinandersetzungen mit afrikanischen Gegenwartsgesellschaften, die sich in Multimediakompositionen mit Korruption, Gewalt, Verdrängung und Fremdenfeindlich befassen.

Sonntag, 8. Februar 2015

Samstag: Arbeitsbedingungen in Chile und auf den Azoren, Flüchtlinge in Israel

Berlinale with Snow by Lilly Flowers
Saisonarbeiten auf Obstplantagen sind bei der hohen Arbeitslosigkeit im Norden Chiles weit verbreitet und auch gefürchtet. Eine hohe Zahl an Überfällen, Schlägereien und Vergewaltigungen lässt die meisten Beschäftigten ein Messer oder eine Pistole mit sich tragen. Dazu kommt illegale Pestizdbenutzung durch die Plantagenbesitzer, die die Arbeitenden nicht nur krank macht, sondern auch tödlich enden kann. So erklärte uns Regisseur Sergio Castro San Martin den Ausgangspunkt seines Films "La mujer de barro" (The Mud Woman). Zusammen mit seiner großartigen Hauptdarstellerin Catalina Saavedra entwickelte er das Drehbuch, dass immer nahe an seiner Protagonistin Maria bleibt - wie auch die Kameraeinstellung während des ganzen Films. Manchmal sehen wir die große weite und karge chilenische Bergwelt in seiner nördlichen Grenze zu Argentinien. Doch meist gehen wir mit Maria durch ihr ärmliches Leben. Sie ist ledige Mutter einer zehnjährigen Tochter, Teresa, die ein besseres Leben haben soll. Deshalb spart die Mutter für ihre Schule und verdingt sich nun nach der Geburt zum ersten Mal wieder als Saisonarbeiterin bei ihrer früheren Arbeitsstelle. Mit anderen Frauen wird sie in den ArbeiterInnenhütten untergebracht, macht ihren Job und bleibt sprachlos. Doch langsam befreundet sich die quirrlige Violeta mit ihr und unterstützt sie, wenigstens etwas am sozialen Leben der Gruppe teilzunehmen. Ohne nötigenden Soundtrack und vor Ort mit wenigen SchauspielerInnen zwischen den ArbeiterInnen der Plantagen gedreht, will der Regisseur absichtlich einige Fragen an den Film offen lassen. Wir verstehen, die Geschichte steht für viele unterschiedliche Lebenswege der dort beschäftigten Frauen.
   Thematisch schließt sich hier der dritte Film unseres heutigen Tages an, nur dreht sich dieser ausschließlich um Männer. Fast ausschließlich, da auch kurz Frauen zu sehen sind, die die Kinder der Männer großziehen und, so scheint es immer wieder durch, auch für viele ein wichtiger Teil ihres Lebens sind. Doch dieser Fischfang auf den Azoren, den die Dokumentation "Rabo de Peixe" (Fish Tail) von den verheirateten Joaquim Pinto und Nuno Leonel einfängt, ist eine Männerwelt. Fischer zu sein ist eine familiäre Tradition und ein Freiheitsgefühl. So erscheint es fast als vorkapitalistischer Arbeitsplatz, der sich gegen die schwimmenden Fischfabriken behaupten will. Als Joaquim Pinto Mitte der 90er Jahre an HIV erkrankte, zog er sich ein paar Jahre später zur Erholung mit Nuno Leonel nach Rabo de Peixe, einer kleinen Gemeinde auf der Azoreninsel Sao Miguel zurück. Doch als weltweit gefragter Toningenieur und Filmemacher aus Leidenschaft, konnte er das Aufnehmen nicht lassen und filmte das Leben der Freunde, die er dort bei den Fischern fand und die zu besten Freunden wurden. Einer dieser Freunde und Hauptprotagonist der Doku, Pedro, war mit seiner Frau beim Screening anwesend und erzählte von den Anpassungen an die neuesten Herausforderungen der Fischereiverordnungen und dem technischen Fortschritt auch auf den kleinen Booten. Doch auch heute noch ist ihm sein Beruf deshalb wichtig, um seine Freiheit zu behalten, denn im Gegensatz dazu, gehört das landwirtschaftliche Anbaugebiet auf den Azoren hauptsächlich Großgrundbesitzern. Und diese Geschichte des Lebens der kleinen Fischer auf dieser windumtobten Atlantikinsel erzählt der Film. Mit zwei anderen Filmen war Joaquim Pinto bereits vor Jahren auf der Berlinale vertreten, mit "Uma pedra no bolso" (Der Morgen des Misstrauens, 1988) und "Onde bate o sol" (Unter stechender Sonne, 1989).
   "Hotline", wie der Film, nennt sich eine israelische NGO in Tel Aviv, die ins Land gekommene Flüchtlinge und MigrantInnen unterstützt. Regisseurin Silvina Landsmann begleitete die Arbeit der Frauen und Männer dieser Menschenrechtsorganisation für ca. ein halbes Jahr in ihren bedrohlichen, wie politisch fast unmöglichen Auseinandersetzungen um die Sicherheit, Anerkennung und Aufnahme von den meist aus Afrika (oft Sudan, Eritrea) über Ägypten einreisenden Flüchtlingen in Israel. Die Dokumentation startet mit einer immens aggressiven Diskussion, in der Israelis die gefühlte Bedrohung durch ihnen unbekannte Menschen lautstark gegen die Menschenrechtsaktivistin von Hotline vorbringen. Wir haben um die Gesundheit der Frau gefürchtet und warteten jeden Moment darauf, dass sie eine Faust ins Gesicht bekommt. Doch diese körperliche Grenze wurde glücklicherweise nicht überschritten. Jedoch ihre Versuche, die Ängste der Menschen zu verstehen, die argumentierten, dass die in ihrem Stadtteil wohnenden Flüchtlinge sie bedrohen, bestehlen und körperlich angreifen könnten und sie sich schon bevor womöglich etwas passiert, aus ihrer Wohnumgebung verdrängt fühlen, über diese Vorurteile konnte sie nicht diskutieren, da nur auf sie eingebrüllt wurde. Dieser doch bestürzenden Situation folgten Aufnahmen der etwas ruhigeren, jedoch für den einzelnen Flüchtling lebensnotwendigen Arbeit, in der Beratungsstelle. Die offiziell als "Infiltrators" bezeichneten Flüchtlinge werden in Gefängnisse nahe der ägytischen Grenze gesteckt, dort besuchen sie die AktivistInnen per Bus, um ihnen Unterstützung und Informationen zu bringen - wenn das Gesetz es gerade zulässt. Auch Menschenrechtsanwälte unterstützen Hotline im Kampf um Aufenthaltsmöglichkeiten, welche jedoch kaum erfolgen. Die NGO ist auf private Spenden angewiesen, da der Staat diesen "InfiltriererInnen" in keiner Weise positiv entgegenkommt. Die Staatsapparate würden die Asylsuchenden am liebsten ignorieren, können es aber nicht wirklich, da immer wieder Menschen auf Hilfe hoffend über die Grenze nach Israel kommen. Israel bietet eine gute Unterstützung bei Opfern von Menschenhandel, ein illegaler Grenzübertritt wird aber als Verbrechen geahndet.

Samstag, 7. Februar 2015

Freitag: westernliches Südafrika mit Londoner Agentenchic, dazu eine internationale Geschichte aus der Türkei

Cinema Arsenal by Lilly Flowers
Heute sind wir im Arsenal in unseren drei Filmen um die ganze Welt gereist.
   Zuerst brachte uns der südafrikanische Western "Umbango" (The Feud, 1986), komplett in isiZulu gesprochen, in den Wilden Westen. Mit dem obligatorischen Saloon, der First National Bank (die nicht überfallen wurde) und einem Sheriff ausgestattet, gab es einen High Noon Showdown mit Witz, Spannung und einer kleinen romantischen Einlage. KK, der feige Revolverheld, kommt in die Stadt und will seinen Bruder rächen. Dazu heuert er sich eine kleine Mannschaft aus zwielichtigen Gestalten an. Unser jugendlicher Held Jet, der leider auch nicht ganz frei von Schuld ist, kann jedoch mit seinem treuen Freund Owen den Frieden in der kleinen Stadt wieder herstellen.
   Dieses Werk gehört zu den sogenannten B-Scheme-Filmen, von denen über Tausend in Südafrika zwischen Anfang der 70er und Ende der 90er Jahre für ein schwarzer Publikum von meist weißen Produzenten hergestellt wurde.Tonie van der Merwe, Produzent, Regisseur, Kamermann und Cutter von mehr als dreihundert dieser Filme, besaß eine Baufirma. Als Filmfreund stieg er Anfang der 70er Jahre in die Filmproduktion ein und sah als zukünftigen Markt das schwarze Publikum, zu dem auch die bei ihm beschäftigten Bauarbeiter gehörten.
   Einer der ersten Filme, Regie Louis de Witt in Zusammenarbeit mit van der Merwe, ist die Agentenparodie "Joe Bullet" (1971), die bei manchen bestimmt auch als Fußballfilm durchgehen könnte. Dem Apartheitsregime passte dieser Film mit ausschließlich schwarzen DarstellerInnen und deren starker und lässiger Präsenz nicht ins System. Sie liesen ihn zensieren, offizielle Gründe dafür waren u.a., dass ein schwarzer Mann einen Sportwagen fuhr und ein Apartment mietete. Die selbstbewußte Selbstständigkeit von "Joe Bullet", gespielt von Ken Gampu, in einer Zeit als im südafrikanischen Alltag Passierscheine und Aufenthaltsgenehmigungen das Leben zwischen schwarz und weiß bestimmten, war ein Dorn im Auge der Mächtigen. Dieser Held, eine Kombination aus Shaft und J(ames) B(ond) und Träger des schwarzen Gürtels, wird als Beschützer einer Fußballmannschaft engagiert. Der Trainer wurde schon ermordet und weitere Drohungen gegen den Favoriten gehen ein. Ein geheimnisvoller Unbekannter geht über Leichen, damit die andere Mannschaft gewinnt. Doch als Joe Bullet sich einschaltet, um seine Freunde zu beschützen, bricht Angst unter den Gangstern aus. Produzent Tonie van der Merve nutzte für die Effekte auch seine notwendigen Arbeiten auf dem Bau, um Sprengungen und Fahrten mit Baumaschinen als Spannungselemente einzubauen.
   Regisseurin Emine Emel Balci erklärte uns im Filmgespräch, dass ihr "Nefesim kesilene kadar" (Until I Lose My Breath, 2015) ein internationaler Film sei, da er überall auf der Welt spielen könne. An ihre Arbeiten würde sie auch immer mit einen Fokus auf "women issues" herangehen. Der internationale Aspekt, den sie mit ihrer Tochter-Geschichte darstellt, wird durch die anonym gehaltene Stadt unterstrichen, in der die Protagonistin Serap lebt. In jeder Einstellung ist die junge Frau zu sehen, die sich allein durch die Welt schlagen muss, da sie an niemand andocken kann. Die Halbwaise arbeitet viel, um Geld für ein kleines familiäres Leben mit ihrem Vater zu sparen, doch der will seine Freiheit und sich nicht an seine Tochter binden. Sie soll bei ihrer Schwester bleiben, aber aus deren Wohnung flieht sie vor ihrem gewalttätigen Mann. Schüchtern und in keiner Jugendkultur verankert, scheint ihr karger Arbeitsplatz der einzige Ort, an dem sie wenigstens etwas Halt und Orientierung finden kann. Wie findet der Mensch das Leben lebenswert machende echte Freundschaften und angenehme sozialen Bindungen, trägt der Film als Frage in sich.

Freitag, 6. Februar 2015

Donnerstag: Eröffnungstag, die Limousinen bringen ihre Eröffnungsgäste nach Grönland

Entrance Berlinale Palace by Lilly Flowers
Obwohl die UrlauberInnenschlange an der Vorverkaufkasse heute wieder länger war, waren alle um uns herum guter Dinge und freuten sich schon auf die Abfahrt ins Ungewisse der PauschaltouristInnen. Die leicht gekleideten prominenten AbenteuerurlauberInnen führte heute der rote Teppich direkt über den Berlinalepalastboden ins eiskalte Grönland, samt zweistündiger Überwinterung in arktischer Kälte. Hoffentlich haben sich die Frauen und Herren Stars keinen Schnupfen geholt. Gut, dass wir mit dieser Kleiderordnung nichts zu tun haben. Und doch wird es uns bei dieser Berlinale auch wieder so gehen, dass wir VoyeurInnen sind und viele traurige und arme Momente und Menschen anschauen werden. Was würde "Mina (Walking"), eine taffe Jugendliche, deren gespieltes Leben in Kabul nah an der Realität scheint, dazu sagen? Die Reise zu diesem kurzen Ausschnitt einer weiblichen Lebensgeschichte gibts in der Generationreihe.

Mittwoch, 4. Februar 2015

Das Erlangen der Genehmigung, an einen bestimmten Ort gehen zu dürfen: Kartenkauf

Potsdamer Platz Arkaden by Lilly Flowers
Er tat uns schon etwas leid, der junge Mann, der mit nassem Haar und großem Sicherheitsabstand zu seiner Vorderfrau vor uns in der Schlange zum Kartenglück stand. Er wirkte leicht abwesend und blickte immer wieder unruhig auf sein Handy (kein Smartphone) und dann bekam er die einzige Karte, die er wollte, an der Kasse dann doch nicht. Einen gut schrägklingenden Film hatte er sich da ausgesucht mit "Dyke Hard", hoffentlich bekommt er noch ein Ticket an der Tageskasse.
Wir hatten heute mehr Glück als gestern und begleiten am Samstag eine Frau im Kampf gegen Demütigungen in Südamerika, eine israelische Hilfsorganisation bei ihrer Unterstützung afrikanischer Flüchtlinge und den verschwindenden Fischerberuf auf einer Atlantikinsel. Ob Letzerer mehr zu bieten hat, als schöne Bilder zu sozialromantischen Tränen...wir hoffen doch.

Dienstag, 3. Februar 2015

Endlich wieder Schlange stehen und cool bleiben im heißen Berlinale-Urlaub 2015

Bear Outside by Lilly Flowers
Denn Lächeln, entspannen und nicht nur bis zehn Zählen ist jetzt wieder angesagt, wenn noch nicht alle UrlauberInnen verstanden haben, dass die TicketverkäuferInnen hinter den Berlinale-Kassen eigentlich nicht dafür geschult sind, um Tipps rund um die vielen, vielen Reisen zu und in den Filmen zu geben.
Leider haben uns heute die guten Geschmäcker vieler FrühbucherInnen unseren Urlaub in Südafrika gekostet...keine Karten mehr für "Joe Bullet" und "Umbango", wo doch dieses Reiseschnäppchen, obwohl schon etwas älter, jedoch mit klasse Inhalt (Shaft, Westernheld) nur zweimal angeboten wird (und davon einmal nicht mal in nem richtigen Kino). Ihr PlanerInnen, was habt ihr euch dabei gedacht, uns so auflaufen zu lassen? Dann hoffen wir doch, dass das Arsenal diese beiden Filme nach der Berlinale ins reguläre Programm  nimmt ... aber das ist nicht das Gleiche, wie wir alle wissen. 
Also, bis bald im Dunkeln! - und vor den Kassen immer schön eure Reiseziel-Nummern bereit halten und dann mit den Menschen hinter euch flirten, anstatt den pflichtlächelnden ReiseverkäuferInnen hinter der Kasse eure Skihaserl-Skilehrer-Reisephantasien vorzuspielen und die nervösen Mitreisenden hinter euch zu Zombies werden zu lassen.