Sonntag, 19. Februar 2012

Unser Tag "Sechs": Die rote Traumfabrik in der Retrospektive

Image by Betty Schnee
Heute wurden wir durch unsere Filmauswahl weit in die Vergangenheit zurückgeführt. Mit uns im Saal saßen dabei zu Putjowka w schisn (Der Weg ins Leben) ein paar Schulklassen Jugendliche, die vom strickjackentragenden Moderator herzlich-pädagogisch begrüßt wurden. Gezeigt wurde uns der erste sowjetische Tonfilm, 1931 gedreht, der einen Ausschnitt aus den beginnenden zwanziger Jahre in der UdSSR zeigt. Zu dieser Zeit hat die Bevölkerung gerade eine Ansammlung von Kriegen mit zahlreichen Toten überstanden. In Moskau versuchen sich die vielen Waisen mit Stehlen und Betrügen über Wasser zu halten. Sie sind in Banden organisiert, tragen nur Lumpen am Körper und schlafen auf der Straße oder in Billigunterkünften. Die Polizei nimmt sie immer wieder bei ihren Dieberein fest, steckt sie in Jugendheime, aus denen sie dann wieder ausbrechen. Der Erzieher Sergejew sucht einen Ausweg aus diesem Kreislauf und gründet auf dem Land eine Kommune für straffällig gewordene Jugendliche. Dort gibt es ein ordentliches Leben mit Essen und Arbeit, manche sagen heute zu diesem Ort "Arbeitslager". Das historische Vorbild für die Hauptfigur des Films war der Pädagoge Anton S. Makarenko, dessen wichtigstes Ziel in der Resozialisierung verwahrloster Jugendlicher bestand. Als Meschrabpom-Produktion konnte sich dieser Film, trotz staatlicher Kontrolle, eine gewissen Eigenständigkeit bewahren und darf deshalb als weniger ideologisch durchtränkt von der stalinistischen Diktatur betrachtet werden. Die Diskussion um die Möglichkeiten sozialer Träger, die mit staatlichen Geldern mehr oder weniger erfolgreich Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen versorgen, findet auch heute hier in Berlin statt. Dass es in anderen Ländern nicht einmal eine Minimalversorgung für bedürftige Kinder gibt, sollte uns aber nicht das Recht geben, an dieser Stelle zu sparen, sondern uns in die Pflicht nehmen, weltweit für eine gute Versorgung von Kindern und Jugendlichen einzutreten.

Danach sahen wir unter Documentaries 6 drei Dokumentationen, deren Titel schon deutlich ihren Inhalt beschreiben. Zeitprobleme. Wie der Arbeiter wohnt (D, 1930, 17'), Im Schatten der Weltstadt (D, 1930, 16') - beide in Berlin aufgenommen, zeigen den Unterschied zwischen gewinnorientierten Hausbesitzern und der ärmsten Schicht der Mietparteien. Ja, wir waren nicht im Heute, sondern im Jahr 1930. Danach ging es ein Jahr zurück auf 1929, der Film Um's tägliche Brot brachte uns das Thema Entmietung wegen fehlender Mietzahlungen nah, wiederum klingt diese Thema auch für heute nicht ungewöhnlich. Der Film gilt als Klassiker des proletarischen Dokumentarfilms vor 1933 und beschreibt die Lebensumstände im schlesischen Kohleabbaugebiet Waldenburg. Das wenige verdiente Geld für die viele verrichtete Arbeit reicht nicht mal zur Bezahlung der Nahrungsmittelrechnungen für die Familie, geschweige denn für die Miete der kleinen Wohnung. Für Andere gibt es gar keine Arbeit mehr. Eingestreute Spielfilmszenen verdeutlichen die dokumentarischen Bilder: eine Frau mit vier Kindern verliert ihren Mann unter Tage, sie nimmt aus Mitleid und Solidarität einen Mann auf, der weder Geld fürs Essen noch Aussicht auf Arbeit hat. Erstarrt in ihrer Armut scheint diesen Menschen kein Handeln für ein besseres Leben mehr möglich. Das tragische Ende kleiner Rebellionen drückt die Decke der Schwermut noch tiefer auf ihr Leben. Leider bremsten die Zensur und die unübliche Länge die Aufführungen des Films nach seiner Entstehung, und nach 1933 wurde der Film dann eh verboten.

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