Donnerstag, 16. Februar 2012

Unser Tag "Vier": von Israel über Brasilien nach Japan

Image by Betty Schnee
Ein leichtes Raunen geht durch den Kinosaal, als der Film Orchim Lerega aus der Sektion Generation 14plus den Vater im Bett mit der Gastgeberin zeigt. Libby, die Tochter von Shaul, schaut verblüfft und wenig erfreut durch den Türspalt zum Schlafzimmer. Achselzuckend erklärt ihr später der Sohn der Frau, dass seine Eltern ein Übereinkommen hätten und das deshalb für seinen Vater in Ordnung gänge. Libby, die Tochter und Shaul, der Vater haben sich schon lange nicht mehr gesehen. Sie wohnt in Kalifornien bei der Mutter und er in Israel. Um den Vater-Kind-Kontakt nicht zu verlieren, haben ihre Eltern diesen langen Besuch organisiert. Shaul ist ein unsortierter wohnungsloser Erfinder und Libby hat als gut organisierte Zwölfjährige eigentlich keine Lust auf diesen planlosen Erwachsenen. Doch langsam erkennt sie auch Vorteile an diesem spontanen Leben, das ein Handeln nicht von Wünschen abhängig macht, die in der unbekannten Zukunft liegen. Als sie jedoch ihr Interesse an einem um sechs Jahre älteren Jungen spontan auslebt, reagiert ihr Vater schroff und überhaupt nicht mehr so entspannt. Im Q+A verteidigt Regisseurin Maya Kenig diese Wendung als die Bewußtwerdung des Vaters gegenüber der Verantwortung für seine Tochter. So verblüfft, wie wir über diesen Bruch im Film waren, sind wir auch über diese einfache Erklärung. Wir hier uns hier ein konservativer patriarchaler Familienstil als verantwortungsvolle Vaterschaft verkauft? Vorher textet Shaul pausenlos und jetzt packt er seine Tochter grob am Arm und presst die Lippen grimmig zusammen. Fazit: unkonventioneller Vater im Hawaihemdenstil kommt mit seiner Coolness durch die Pubertät seiner Tochter an die Grenzen und sucht Halt in den moralischen Werten der Mainstreamgesellschaft. Zweites Fazit: ein toller Film mit überzeugenden Schauspielern, der, bis auf den Schluss, eine Geschichte der wachsenden Wertschätzung zwischen Tochter und Vater erzählt, die in persönlich schwierigen Zeiten in einem politisch unstabilen Land leben.

In dem brasilianischen Film Olhe pra mim de novo (Schau erneut auf mich) wird eine Frau porträtiert, die heute meist als Mann lebt. Silvyo, früher Silvya, strahlt durch den gesamten Film eine lebendige Fröhlichkeit aus und scheint ausnahmslos glücklich mit ihrem neuen Leben und der Penisprothese. Charmant und witzig erzählt er von seinen Entwicklungen als Kind zur Frau, dann zur Lesbe und nun zum Mann. Mit einer freundlichen Leichtigkeit schaut er dabei auch auf seine Familie und Freunde, die nicht immer klar kamen mit seinen Gefühlen und Entscheidungen. In diesen Momenten, wenn er von seinen Eltern erzählt, die ihn als normales Mädchen, als normale Frau haben wollten und wenn er von seiner Tochter erzählt, die ihn nur als Mutter haben möchte, erkennt man die Kämpfe, die Silvyo führen musste und noch muss, um dort glücklich sein zu können, wo er heute steht. Darin spiegeln sich auch die Vorgaben der patriarchalen brasilianischen Gesellschaft wieder, die sich schwer damit tut, Homosexualität und Transgender zu akzeptieren. Außerhalb bestimmer Stadtteile in Rio de Janeiro und Sao Paulo sind Homosexuelle aus Angst vor Angriffen nicht sichtbar. Und dass gilt weiterhin für Brasilien, trotz einer Besucherzahl von 800.000 Menschen bei der LGBT-Parade in Rio de Janeiro letzten Oktober.

Drei japanischen Filme drehen sich dieses Jahr um die Atomkatastrophe von Fukushima. Einer davon ist friends after 3.11, darin geht der Regisseur Iwai Shunji auf die Suche nach Menschen, die sich jetzt nach der Katastrophe aktiv um persönliche und gesellschaftliche Veränderungen bemühen. Auffallend viel gesprochen und diskutiert wird in diesem zweistündigen Film, Inhalte zählen. Bilder der Zerstörung können lügen, denn es war nicht nur ein Erdbeben und ein Tsunami, welche die offensichtliche Zerstörung brachten.  Die tödliche Gefahr liegt im unsichtbaren Bereich der freigesetzten Radioaktivität. Der Film zeigt ein großer Gesprächsbedürfnis, sich durch Diskussionen um eine Neufindung der japanischen Gesellschaft zu bemühen. Beeindruckend erzählt eine jugendliche Bloggerin von ihren öffentlichen Aktionen und ein Professor von seiner Kehrtwende nach Fukushima, er benutzt nun sein ganzes Wissen, um sich gegen die Nutzung von Atomkraft auszusprechen. Wie wichtig es den Menschen ist, sich diskutierend in die Zukunft ihrer Gemeinschaft einzumischen, freundlich und doch mit einer großen Zähigkeit auf ihrer Kritik zu beharren, ist ergreifend und Mut machend anzusehen.
Schön, dass die Berlinale auch dieses Jahr den filmischen Dokumenten zur Stärkung der Demokratie eine Auseinandersetzung vor einem großen Publikum bietet.

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