Samstag, 16. Februar 2013

Freitag...Tag 8...Kenia, Korea, Türkei

Weg zwischen Potsdamer Platz und HKW
by Lilly Flowers
     Heute Mittag gingen wir mit der Doku Tough Bond aus dem Generationen-Programm nach Kenia. Kinder und Jugendliche vertreiben sich mit Klebstoff schnüffeln, Produktname Tough Bond, den Hunger und verschönern für ein paar Momente ihr perspektivloses Leben. Vom Land in die Stadt und zurück sehen wir unterschiedliche Lebensweisen und Möglichkeiten für Jugendliche. Doch das soziale Auffangbecken für elternlose Kinder in der traditionellen, meist ländlichen, Wohnform, gibt es heute nicht mehr. Heutiges Leben in einer traditionellen Hütte: die Kinder hüten Schafe, holen Wasser, die kleine Dorfgemeinschaft ist kaum vorhanden und keine Schule weit und breit. Aus dieser Gegend im Nordwesten von Kenia sind viele junge Menschen in die nächsten Städte oder nach Nairobi gezogen. Dort erarbeiten sie etwas Geld durch Müllsammeln auf der Straße oder Sortieren auf großen Müllbergen und essen, was sie vor Ort finden. Erträglich wird dies für die Stadtkinder, da sie immer eine Flasche mit Klebstoff unter der Nase hängen haben. Durch eine trickreiche Herangehensweise gegenüber offiziellen Stellen, konnten die beiden Regisseure eine offizielle Aussage des Vizepräsidenten von Kenia in die Kamera bekommen, in der er behauptet, es gäbe in seinem Land keine Straßenkinder mehr. Ein Raunen geht durch den Saal. Nach der Aufführung erzählen uns die Filmemacher, diese Kinder würden einfach nicht existieren, da sich niemand für sie interessiert, sind sie Luft. Das Gleiche sagt die interviewte Sozialarbeiterin. Der Film wurde bereits den beteiligten Jugendlichen in der Stadt und auf dem Land gezeigt, wo er jeweils Verwunderung über die gezeigten Lebensrealitäten der anderen hervorrief. Nach der Berlinale will die Filmcrew weiter in Kenia mit dem Film herumreisen. Vielleicht überdenken der Klebstoffverkäufer und der Klebstoffhersteller dann nochmal ihre Position, dass sie den Kindern in ihrem kleinen schlechten Leben ja mit dem Zeugs was Gutes tun.
      In der Republik Korea geht es in der Schule sehr hart zu. So beschreibt die ehemalige Lehrerin und heutige Regisseurin Shin Su-wohn in Worten und in ihrem Thriller Pluto das dortige Schulsystem. Spannend aufgebaut mit ökonomischen und sozialen Hierarchien, verbunden mit einem Hauch von Pubertät, kämpfen die Schüler gegeneinander um die wenigen Elite-Plätze in der Schule und somit in der Gesellschaft. Wer in Korea nicht studiert, bekommt keinen regulären Arbeitsplatz. Zuneigung und Freundschaften sind in diesem System nicht vorgesehen und wo sie doch stattfinden, könnten sie die Karriere zerstören. Zugespitzt zeigt der Film einen superreichen Jugendlichen im Kampf um die beste Leistung, die nichts mit Können, sondern mit Geld für einflussreiche Nachhilfelehrer und das miese Austricksen armer Eliteschüler zu tun hat. Und konsequenterweise explodiert am Schluss die Folterkammer unter der Schule. Wie uns die engagierte Regisseurin im Publikumsgespräch wissen lies, gibt es eine hohe Selbstmordrate unter Schülern in Korea.
     Unser letzter Film heute ist eigentlich nur zufällig in unsere Auswahl gekommen. Wir hatten erst zwei gesehen und zu so später Uhrzeit ist die BVG-Verbindung ins Cubix bequemer. Dazu kam schon, dass wir auch mal sehen wollten, was ein türkischer Regisseur aus dem Thema Prostitution macht. Das uns dieser Film dann so packt und wir fast kotzend aus dem Kino kommen, hätten wir nach der Beschreibung nicht erwartet. Brrr, kalt und auf der Haut schmelzend, wie der viele weiße Schnee in der Winterwunderwelt, kein Wunder, dass der Film mit Soguk /Cold betitelt ist. Doch dass die Männer als Spezies so schlecht wegkommen, hätten wir nun nicht erwartet. Ob die Frauen als Identitätsgruppe besser wegkommen, wir konnten uns da nicht einigen. Nun zu der Geschichte: Die Frau eines Eisenbahnschienenkontrolleurs ist hoch schwanger. Ihre Schwester heiratet den Bruder ihres Mannes. Die Brüder sehen es als ihr Mannesrecht an, in ihrem Eheleben zu tun, was wie wollen, meint, in den Puff zu gehen. Irgendwie ist zwischen den Brüdern keine gute Stimmung, es wird nie erzählt, was früher zwischen ihnen passiert ist. Der Eisenbahnmensch hebt kaum den Blick und spricht nur wenige Sätze. Sein Bruder, eigentlich Verkäufer, arbeitet nebenher im Puff und ist unberechenbar aggressiv. Der eine Bruder verliebt sich in eine der russischen Prostituierten und würde für sie alles tun, wie er ihr verzückt sprachreduziert beteuert. Das Geschäft Prostitution bleibt, auch in den Gesprächen, immer im Gegensatz zum Wunsch nach Gefühlen. In einem hin und her wird das wortkarg, traurig-aggressive Familienleben der verheirateten Brüder in verhalten emotionalen Bildern transportiert. Ihre Frauen haben wenigstens sich und als Schwestern ein gutes Verhältnis zueinander. Mit einem Unglücksgefühl und ohne dadurch glücklicher zu werden, bringt der eine Bruder den anderen um, lässt ihn vom Zug überfahren. Das ist der Schluss und wir sind sprachlos und uns ist schlecht. Nur als Ergänzung, wenn uns von einem Film schlecht wird, ist das ein gutes Zeichen, das erste Mal passierte es uns bei Reservoir Dogs und dann wieder bei Pulp Fiction. Wie Achterbahn fahren, wenn der Magen hüpft, ist es besonders spannend.
     Wir haben heute irgendwo in einer Zeitung gelesen, dass besonders das Generationenprogramm der Berlinale erschreckend ernst daher käme. Wo denn die komödiantische Auseinandersetzungform geblieben sei, wie sie Charly Chaplin oder Billy Wilder betrieben hätten. Ja, da werden große Namen aus längst vergangenen Zeiten gegen ein Generationenprogramm geworfen, das auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt ist. Vielleicht könnte man die Komödienlosigkeit dem Wettbewerb vorwerfen, wenn man sich trauen würde? Die in unseren Generationen-Filmen mitsitzende Jugend hat es immer genossen, durch die Filme mit ihren Themen ernst genommen zu werden. Sie haben ja sonst Komödie genug mit dem grässlichen Zeug im Fernsehnachmittagsprogramm, bei dem, wie wir hörten, auch manchmal Lacher eingespielt werden. Da kotzen wir doch lieber für einen guten Film.

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